Doc Angelo hat geschrieben: ↑05.05.2020 16:22Was ich aber gerne tun möchte, ist @Vanika bei vielen Punkten zuzustimmen. Ich sehe viele Dinge so wie Du, Vanika. Ich ziehe zwar andere Schlüsse aus manchem, und kann nicht allem zustimmen. Aber ich finde es toll, wie viel Zeit und Mühe Du dir gibst, das alles passend zu formulieren und zu kommunizieren. Deswegen hab ich mir gedacht, das ich mich mal nicht auf das konzentriere, was unterschiedlich ist, sondern auf das, was gleich ist. Letzteres ist größer als ersteres - passend zum Thema Geschlechterunterschiede.

Danke für die Blumen! So etwas baut tatsächlich auf. Ich bekam eben auch schon eine freundliche PN. Ich bin ja eher vehemente Gegenwehr gewohnt, Zerpflücken, aus dem Kontext reißen, Missverstehen und in so eine "SJW"-Ecke gestellt zu werden. Mir zeigt das jetzt aber auch, wie sehr sich die "Lager" missverstehen. Warum ich vor allem auch Begriffe wie Patriarchat und Feminismus offen verwende, ist weil ich zeigen will, dass dahinter nicht die Dinge stehen, die ihnen oft unterstellt werden. Das Patriarchat ist keine Weltverschwörung böser Männer und Feminismus ist kein Männerhass. Und wenn sich nur ein paar Leute meine Texte wirklich zu Herzen nehmen, dann hat sich der Aufwand schon dicke gelohnt.
Doc Angelo hat geschrieben: ↑05.05.2020 16:22Das ist schwierig. An allen Traditionen krampfhaft festzuhalten bis sie widerlegt sind wirkt genau so wenig zielführend, wie das zwanghafte Ablegen aller Traditionen. Ersteres wäre zwar möglich, aber nicht sinnvoll, letzteres ist allerdings nicht wirklich möglich. Wie sähe ein menschliches Leben wortwörtlich ohne Traditionen aus? Wäre man dann überhaupt das, was man einen Menschen nennt?
Ich sehe es wie eine Achse. Beides entspricht menschlichen Bedürfnissen. Das ist mir übrigens auch ein oberstes Gebot, die menschlichen Bedürfnisse zu verstehen und zu berücksichtigen. Radikale Ideologien ignorieren diese Bedürfnisse und ordnen sie einer fanatischen Idee unter. Dadurch werden die Menschen unglücklich, Widerstand bildet sich und alles fliegt irgendwann unweigerlich auseinander. Wir müssen also ein System als Ziel haben, das vor allem menschliche Bedürfnisse im Blick hat. In Frieden leben zu können, ist z.B. eines.
Um auf die Achse zurückzukommen: Sie wird zwischen den Bedürfnissen nach Sicherheit, Verlässlichkeit und Planbarkeit auf der einen Seite und dem Bedürfnis nach Freiheit, Veränderung und Neuem aufgespannt. Jeder Mensch positioniert sich auf dieser Achse an irgendeinem Punkt. Daher ist der Konflikt zwischen konservativen und progressiven Kräften absolut menschlich. Und so gut wie niemand ist absolut konservativ oder absolut progressiv. Oft verändert sich das ja auch mit dem Alter, was auch wieder den ewigen Konflikt zwischen Jugend und Alter erklärt. Im Grunde werden diese Dinge in jeder Generation neu ausgehandelt, Veränderungen gegen Widerstände erstritten, die später erhalten werden sollen gegen neue Veränderungen. Die Leute stehen also bei diesen Konflikten vor allem für ihr individuelles Bedürfnis nach Bewahrung des Status quo und nach Veränderung desselbigen ein.
Das heißt aber nicht, dass alles eine Frage der persönlichen Meinung ist. Denn dann wäre es ja im Rückblick völlig in Ordnung, dass man Frauen früher die Rechte nicht zugestanden hat, die sie heute wie selbstverständlich genießen. In dem Sinne finde ich es eher traurig, dass man viele Dinge, die sich am Ende auf grundlegende Menschenrechte eindampfen lassen, so lange gegen so enorme Widerstände erstreiten musste. Im Rückblick sollte man sich eher schämen. Schämen für Sklavenhaltung, Schämen für Zwangsehen, und so viel mehr. Denn das war einfach falsch, was heute so ziemlich jeder auf Anhieb begreift. Trotzdem musste man den Leuten erst mühsamst klar machen, dass Sklaven auch Menschen sind und die gleichen Rechte besitzen wie alle anderen.
Und genau diese Widerstände sehe ich jetzt wieder, wenn es um diese feministischen Themen geht. Es ist das gleiche Unverständnis, der gleiche Unwille und die gleiche Häme, die einem immer schon entgegen geschlagen sind, wenn man verlangt hat, dass Leute Macht abgeben sollen, weil andere Menschen darunter leiden. Und deswegen ist es keine bloße Meinungsfrage. Wenn eine Meinung dafür sorgt, dass andere Menschen darunter leiden, dann ist es eine schlechte Meinung. Und dann geht es bei der Verteidigung dieser Meinung nur um egoistische Interessen auf Kosten anderer.
Hier sind wir inzwischen eigentlich durchaus an einem Punkt angelangt, an dem bestimmte Dinge nicht mehr verhandelbar sein sollten, wie eben die Menschenrechte. Umso trauriger macht mich, dass dies dennoch stets wieder versucht wird. Meinungsfreiheit bezieht sich eigentlich nicht auf die Hinterfragung dieser fundamentalen Rechte. Dennoch wird oft genau das versucht und wenn man das dann scharf kritisiert, weil es menschenfeindlich und asozial ist, wird so getan, als sei die Meinungsfreiheit in Gefahr. Dann wird von Lügenpresse gefaselt oder von Zensur. Mich erschreckt, wie wenig diese Menschen von unseren Grundwerten begriffen haben, dass sie diese so bereitwillig abzuschaffen bereit sind. Diese Grenze überschreiten auch evangelikale US-Amerikaner, wenn sie meinen, dass sie es mit Meinungs- oder Religionsfreiheit rechtfertigen können, Menschen, die ihnen nicht in den Kram passen, offen zu diskriminieren. Sie verstehen nicht, wo sie dabei eine rote Linie überschreiten, die unverhandelbar für alle Menschen gelten sollte. Sie verhalten sich da auch wieder egoistisch und asozial.
An dieser roten Linie lässt sich auch wunderbar festmachen, wessen Wünsche nun bei einem Konflikt eigentlich Vorrang haben sollten. Steht es eher Männern zu, Frauen zu unterdrücken und sich auf ihre Kosten zu bereichern, oder steht es eher Frauen zu, nicht unterdrückt zu werden und Männer die Bereicherung an ihnen zu verweigern? Eigentlich ziemlich klarer Fall, wäre da nicht dieser Egoismus...