@Sir_pillepalle
Adorno habe ich nur auszugsweise gelesen, und das liegt, ebenso wie andere Klassiker der Sozialwissenschaften, schon ziemlich lange zurück. Um es bezüglich der Dialektik der Aufklärung kurz zu machen, da stecken für mich viele schlaue Gedanken drin, aber in der Gänze ist mir das zu heftig in seinen allumfassenden Deutungsmustern. Angewendet auf Kultur führen solche Sichtweisen außerdem zu einem Kulturbegriff, bei dem nur ein eine kleine, verständige Elite wahre Kunst erkennen und genießen kann. Ich hatte schon zu viele Diskussionen mit Klassik-Verfechtern, die in allem, was irgendwie mit Popkultur in Zusammenhang gebracht werden kann, ausschließlich Ausdruck eines dumpfen Konsumprinzips sehen, und bei klassischer Musik von wahrer Schönheit und wahrem Genie schwadronieren, halt schon in so einem elitären Adorno-Style. Aber gut, die hatten außerdem alle mehr Ahnung von Musiktheorie als ich, und vielleicht habe ich zu viele dieser Diskussionen "verloren"
Ich fühle mich jedenfalls tendenziell eher der Habermas-Fraktion zugetan. Das, was du schreibst, ist alles nicht falsch. Ich sehe es aber so, dass man damit schnell in einer Sackgasse endet - man kann dieses Prinzip auf alles anwenden und überall nur mehr oder weniger gut verschleirtes, seelenloses Kalkül zur Profitmaximierung und dumpfe Aufforderung zum unhinterfragten Konsum sehen.
Das ist mir wie erwähnt zu total, und als Pop-Schlampe behalte ich mir das Recht vor, sowohl den Beatles als auch Mozart Genie zu-, wie auch absprechen zu dürfen. Konkret erkenne ich in den Werken der Beatles spätestens ab Rubber Soul musikalisches Genie, in Mozarts Zauberflöte mit dessen flacher Harmonik, trotz komplexerem Aufbau, nicht. Gewagte These, ich weiß
Man könnte jetzt Fortnite hinsichtlich der von mir erwähnten Punkte weiter oben analysieren und als ekelhafte Konsumfalle abtun, ohne damit grundsätz falsch zu liegen. Jetzt mag ich aber Assassin's Creed, was man ebenso erfolgreich als Produkt des kleinsten gemeinsamen Nenners eines Massengeschmacks zerreden könnte, Ubiformel-Holzlatten-Kiddie-Gameplay. Ich würde mit dem historischen Gehalt und den gut geschrieben Texten dagegenhalten, zumindest bis zu AC3, das ich als letztes aus der Reihe gespielt habe. Und ich bin mir sicher, dass man auch bei Fortnite irgend etwas finden kann, was als positiv zu bewerten wäre. Auch beim Trap warte ich nur darauf, dass mir irgend jemand Argumente bringt, warum man das abseits meiner genannten Vorbehalte auch gut finden kann, woran ich mich dann abarbeiten kann.
@Pineapple-Pete
Erstmal, ich arbeite nicht beim Radio, das habe ich zu missverständlich formuliert! Zumindest im Tagesprogramm könnte ich das nicht mit mir vereinbaren, weil da eine persönliche Grenze hinsichtlich "aus Scheiße Geld machen" überschritten werden würde. Ich arbeite im Büro eines kleinen Schweißereibetriebes und muss dort halt Radio Siegen ertragen, das nebenbei ständig läuft. Trap ist da zu meinem Glück kein hauptsächlicher Programmbestandteil, obwohl die Einflüsse natürlich überall präsent sind. In Mark Forsters unsäglichem 194 Länder z. B. findet man sowohl das obligatorische künstliche Roland TR-808-Hi-Hat-Geratter (das mich bei verbeifahrenden Autos und auf Smartphones von Kindern im Bus immer an Fahrradkettengeräusche im Leerlauf erinnert), als auch den EDM-Trap-typischen Shishabar-Rhythmus. In Verbindung mit den Lyrics und seinem Backpfeifengesang ("es gibthunnatviernneunzisch Länder ichwilljääädesdavonnsehn ") haben wir Pest, Cholera, Typhus und eine akute Bandwurminvasion in einem, na herzlichen Glückwunsch.
Das mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner und dem Erfolg durch Wiederholung und Überpräsenz sind meiner Ansicht nach zwei Dinge, die sich direkt bedingen. Pop im Sinne einer ständigen Begleitung im Alltag als Hintergrundrauschen (es gibt ja noch andere Definitionen und Funktionsweisen von Pop) funktioniert durch Gewöhnung an Standards, und diese wiederum lassen sich einfacher etablieren, wenn man die musikalischen Mittel einfach und anspruchslos hält (sprich, kleinster gemeinsamer Nenner). Aber man darf andererseits auch nicht die Dynamik der Popmusik unterschätzen: Die Wandel der musikalischen Mittel sind deutlich kurzfristiger als z. B. bei Spielarten des Metal, wo man mit genau der gleichen Musik wie vor 40 Jahren heutzutage ebenso viel Erfolg haben kann.
@Usul
Es kann schon sein, dass ich in solchen Geschmacksfragen eine gewisse Überheblichkeit an den Tag lege, oder dass es zumindest so wirkt, zugegeben. Ich würde dagegen halten, dass, wenn ich von z. B. minderwertiger Kultur spreche, ich mich da selbst überhaupt nicht herausnehme. Ich fand den ersten Transformers auch spaßig, und freue mich schon auf Bad Boys 3. Transformers 3 habe ich irgendwann mal angefangen, aber da muss ich gestehen, fand ich den gezwungenen Humor derartig unlustig und vorpubertär, dass ich nach fünf Minuten ausgemacht habe, was mir nicht oft passiert. 6 Underground letztens konnte ich unter "so doof, dass es schon wieder Spaß macht" verbuchen. Allgemein habe ich bei Bay manchmal das Gefühl, das Erzeugnis eines Teenagers zu sehen, wozu auch seine auffallende Inszenierung von weiblicher Körperlichkeit gehört. Stichwort: Screentime von Megan Fox' Arsch. Jedenfalls sind seine Filme oft bemerkenswert unclever, obwohl es Ausnahmen gibt, siehe Die Insel oder Pain & Gain. Aber wie gesagt: Ich kann sowas durchaus feiern. Ich mag auch Skrillex, Boys Noize, 3-Akkorde-Funpunk, Prodigy, Backstreet Boys, Banger-Hip-Hop, alte Limp Bizkit, simplen, rasenden Black Metal und schweinebrutale Fratzengeballer-Kampffilme. Aber nur weil ich es mag, sollte mich das trotzdem nicht davon abhalten, kritische Infragestellung zuzulassen. Bei Michael Bay kann man zum Beispiel seine Sexualisierung kritisch betrachten. Das wäre überhaupt kein Problem, wenn es nicht Überlegungen dazu gäbe, dass Alltagssexismus auch über die Wiederholung von sexualisierten Schlüsselreizen, die unhinterfragt und unkritisiert ständig auf einem einprasseln, aufrecht erhalten werden kann. Kann, nicht muss. Und in dem Punkt hast du mich, glaube ich, falsch verstanden. Ich habe es so in Erinnerung, dass ich erwähnt habe, eben die monokausalen Schlüsse von der Kultur auf Individuen abzulehnen, im Sinne von: Konsum sexistischer oder gewaltverherrlichender Filme/Spiele/Musik -> ergibt ebensolche Charakterzüge. Siehe Killerspiel-Debatte. Deshalb würde ich z. B. dich, vor allem ohne dich zu kennen, nicht irgendwo einordnen wollen, sei es jetzt so etwas wie Sexismus oder Indifferenz gegenüber "wichtigen" gesellschaftlichen Fragestellungen, nur aufgrund von irgendwelchen Präferenzen.
Aber ich halte dagegen, dass Kultur Auswirkungen haben kann, im beschriebenen Sinne von Tendenzen, Chancen und der Schaffung von begünstigenden Effekten hinsichtlich gewisser Haltungen. Das mit den "unreflektierten massenhaften Konsum von minderwertigen Erzeugnissen" in der Musik war, und auch da dachte ich, dass es relativ offensichtlich geschrieben war, auf die musische Erziehung der NS-Zeit gemünzt. Es war damals eine der Leitideen, durch Musik die Inhalte der herrschenden Ideologie zu unterstützen und verstärken. Es gibt zwar viele Musiksoziologen, die auf die rein musikalischen Aspekte solcher "Funktionsmusik" nicht oder kaum eingehen, aber andererseits gibt es auch viele Ansätze einer Synthese mit musiktheoretischen Erklärmustern der Wirkungsweise von Tönen, Harmonien, Rhythmen usw. Es ist lange her, dass ich mich bewusst mit solchen Dingen auseinandergesetzt habe, aber wenn du willst, kann ich mal ein paar Beispiele von wissenschaftlichen Arbeiten in diese Richtung heraussuchen. So auf die Schnelle habe ich da z. B. "Das voelkische Lied. Eine annotierte Quellensammlung zur NS-politischen Indoktrination der Jugend durch Musik." von Brade/Tilman oder "Musik als Werkzeug der Indoktrination: Am Beispiel der Festouvertüre 1948 von Ottmar Gerster und dem Mansfelder Oratorium von Ernst Hermann Meyer (Musik im Metrum der Macht)" von Anne K Schmidt gefunden.
Jedenfalls herrscht in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema derer, die musikalische Aspekte mit berücksichtigen, Einigkeit darüber, dass die Wahl der musikalischen Mittel in den verschiedenen Fällen von "Zweckmusik" nie zufällig ist. Seien es die Marschrhythmen und die kämpferischen, Zusammenhalt stiftenden Harmonien der HJ-Lieder oder die Soundtracks von der Stange aus der Werkstatt eines Hans Zimmer. Zu letzterem hat mir ein studierter klassischer Musiker mal erklärt, dass dieser teilweise mit selbst erstellten digitalen Tools arbeitet, die letztendlich wie riesige Datenbanken funktionieren, in denen Harmonien, Töne und Rhythmen bestimmten Emotionen und Stimmungen zugeordnet sind. Man kann dann z. B. eingeben: Piraten, Südsee, fröhlich, beschwingt - und bekommt dann fast fertige Stücke, die man als Grundlage verwenden und weiter verfeinern kann. Ich hab das nie überprüft, aber das klang für mich stimmig. Gerade Zimmer ist da teilweise, neben einigen herausragenden Arbeiten, furchtbar vorhersehbar und generisch. Sei es das tiefe, dröhnende "Brrrröööööööööhhh", das gefühlt in jedem Blockbuster verwendet wird, oder die obligatorische große Septime, wenn es spannend sein soll.
Passend dazu, eine, wie ich finde, herrliche Polemik auf Zimmer:
https://blogs.nmz.de/badblog/2013/07/01 ... ne-tirade/
Sowas ist das schriftliche Äquivalent zum Ballerfilm: Bedient niedere Instinkte, kann man aber feiern. Und aber auch kritisch sehen. Beides. Ich hoffe, es sind Dinge deutlicher geworden mit meinem unstruktierten Geschreibsel.
Ediths Nachtrag:
Auch wenn man, so wie ich, doofen kulturellen Erzeugnissen was abgewinnen kann, so darf man doch nicht die andere Seite der Kultur vergessen: Bücher, Filme, Musik und Spiele, die es schaffen, einem anzuregen, über Dinge nachzudenken, auf die man ansonsten nicht gekommen wäre, die den eigenen Horizont erweitern und neue Sichtweisen oder andere Perspektiven vermitteln.
Ich würde sogar, @Dero.O und konträr zu adler.Kaos (obwohl das wahrscheinlich ironisch war), behaupten, dass gerade durch die intensive Beschäftigung mit höherer Kultur letztendlich eine "Spaßsteigerung" stattfindet. Als ich zum Beispiel damals nach mehrmaligen Hören und ohne mich vorher mit komplexerer Musik beschäftigt zu haben, endlich Tool's Aenima durchblickt und "verstanden" habe, war das so ein Schlüsselerlebnis, das mich vollkommen überrollt hat. Da saß ich dann überwältigt mit Ganzkörpergänsehaut, spontanen Tränenausbrüchen und einer Ahnung, was Musik imstande ist, in einem auszulösen und welche Möglichkeiten darin verborgen sind, wenn man sich halt die Mühe macht und mit Dingen auseinandersetzt, die abseits der ausgetretenen Pfade, die eben von der Wiederaufbereitung des Bekannten leben, sehr viel mehr bieten können als bloße Bespaßung. Für beides sollte es Platz geben. Das Weglassen des einen kann zu einem verkrampften Elitarismus führen, das Weglassen des anderen zu einer Gewöhnung an allzu einfache Mechanismen, durch die man dann, ohne das Rüstzeug einer begründeten Auseinandersetzung zu erlangen, anfällig für Manipulationen werden kann. Und ich bleibe dabei, dass gerade größere Massen von Menschen, die den Prinzipen einer inzwischen jahrhundertealten Tradition der Aufklärung blind gegenüberstehen, eine Gefahr darstellen, was sich meiner Meinung nach überall auf der Welt immer wieder bestätigt.