Wulgaru hat geschrieben:[...]
Ich denke, da muss man etwas trennen. Zum einen gibt es da den Inhalt des Mediums selbst, der uns durchaus bewegen kann. Nehmen wir mal .. den Film Titanic
Am Ende versinkt Leo DiCaprio in den Fluten und alle Frauen holen ihre Taschentücher raus. Sie haben Leos Charakter den ganzen Film über kennengelernt, sich mit ihm und Kate Winslett gefreut, gefürchtet und so weiter. Für die Zeit, die der Film dauert sind sie in dessen Welt versunken und haben sich emotional darin eingefunden.
Trotzdem ist jeder geistig gesunde, reife Mensch in der Lage einen Schritt zurückzutreten und sich bewusst zu machen, dass die Charaktere nicht real sind, dass Leo noch lebt und auch nicht die Person ist, die er im Film verkörpert hat. Die Zuschauer sitzen anschließend nicht zuhause in tiefer Depression, weil jemand den sie kennengelernt und emotional an sich herangelassen haben jetzt tot ist.
Um jetzt den Bogen zu GTA zu schlagen: Wie ich schonmal an anderer Stelle sagte, hat mich die Folterszene insofern bewegt, als dass ich sie unangenehm zu spielen fand. Ich bin aber auch in der Lage, einen Schritt zurückzutreten und das Gesamtbild zu sehen, in dem es nicht darum geht als Spieler Spaß an der Folterung zu empfinden, sondern darum diese "Verhörmethoden" (eher ein Vorwand für das Ausleben von Sadismus) zu kritisieren. Wie gut es Rockstar nun gelungen ist, diese Kritik hervorzuheben ist sicher diskutabel.
Das ändert aber nichts daran, dass auch Videospiele die Extreme menschlicher Auswüchse erkunden dürfen sollten. Ich meine, als Shades of Grey herauskam, was im Wesentlichen ein Literaturporno ist, gab es auch keinen riesigen Aufschrei, dass tausende von Jugendlichen das Buch gelesen und dabei sicherlich so einiges über S/M-Praktiken gelernt haben. Warum nun diese Heuchelei bei einer wesentlich kritischer eingebetteten Folterszene in einem Videospiel? Weil der Spieler dabei interaktiv eingebunden ist? Gerade das empfinde ich z.B. als einen Vorteil. Auf diese Weise ist man nicht einfach unbeteiligter Zuschauer, sondern die ganze Unmenschlichkeit, die in so einer Tat steckt wird einem umso bewusster.
Um mal einen Vergleich aus einer anderen Richtung zu ziehen, nur um klar zu machen was ich damit meine. Ich war noch nie in New York. Aber GTA IV hat bei mir die Illusion geweckt, mir zumindest vorstellen zu können wie es wohl ist, durch die Häuserschluchten dort zu laufen.
Wenn nun GTA V es schafft, den US-Bürgern (und für die ist diese Szene ja vorwiegend gemacht) zu veranschaulichen, was für unmenschliche Verbrechen ihr eigenes Land unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung eigentlich begeht, dann ändert sich vielleicht was im Denken der Menschen dort.
edit: Wo ich gerade nochmal über diesen Post lese: Wo die Grenze für Videospiele beim Erkunden menschlicher Extreme ist, kann ich nicht sagen, du nicht, auch ColdFever nicht, auch wenn er das gerne tun würde. Niemand hier kann das. Wo diese Grenze liegt, das sehen wir, wenn es so weit ist und das entsprechende Spiel floppt. Möglicherweise ist das zu großen Teilen bei Manhunt auch schon passiert. Für mich persönlich definitiv. Ich hab's mal ein paar Stunden gespielt und obwohl es mechanisch ein gutes Stealthspiel ist, geht mir der Inhalt zu weit. Andere finden es in Ordnung und das akzeptiere ich auch so. Deswegen verurteile ich diejenigen aber nicht oder unterstelle ihnen irgendwelche Charakerschwächen oder sonstwas. Der Punkt ist: es liegt nicht an mir, anderen Menschen ihre persönlichen Grenzen zu definieren. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen.
Genauso kann man umöglich vorhersagen ob eine hypothetische Vergewaltigung in einem Videospiel zu weit geht oder nicht, denn auch hier spielen die Einbindung dieser ins Spielgeschehen und die -präsentation sowie die persönliche Grenze des Geschmacks die Hauptrollen. Ich kann mir z.B. vorstellen, dass jemand, der vielleicht im Bekanntenkreis mit Vergewaltigungsopfern zu tun hat es als eine Art Karthasis empfinden kann, in so eine Szene als Retter einzugreifen und die Vergewaltiger zur Rechenschaft zu ziehen, sei es durch bloße Gewalt oder andere Formen der Intervention.