TWiesengrund hat geschrieben:4P|T@xtchef hat geschrieben:TWiesengrund hat geschrieben:Was will Herr Luibl?.
Ich will nicht, dass die persönliche Moral oder Weltanschauung eines Kritikers bei der Einschätzung eines Spiels entscheidend ist. Das führt zu einer beschränkten, politischen und schrecklich ausrechenbaren Form der Kritik.
Worin liegt hier die genannte vermeintliche Beschränkung? Was wird hier beschränkt? Da scheinen Sie mir erstaunlich ungenau zu sein. Geht es darum, dass eine unterschiedliche Ansicht zu fundamental menschlichen Fragen zu einer Abwertung der ohnehin schwer nachvollziehbaren Prozentzahl des Testergebnisses führt? Oder ist etwa damit gemeint, dass man sich angeblich damit den Weg verbaut, manche Dinge als Kunst anzuerkennen? Was ist so verwerflich daran, das ideologische Erbgut eines Kunstwerkes in den Vordergrund zu stellen?
4P|T@xtchef hat geschrieben:Ich sage nicht, dass man die erkannte oder durch ein Spiel triefende Weltanschauung (Army-Propaganda, Nationalismus, Fundamentalismus etc.) nicht erwähnen oder einschätzen sollte, sondern dass das Spiel erst dadurch künstlerisch wertvoll wird, wie es seine, evtl. für mich nicht akzeptable, Weltanschauung inszeniert.
Was bedeutet denn hier künstlerisch wertvoll? Ist eine Hamletaufführung mit einem herumschwebenden König Claudius besser als eine, in der das Budget nicht für Kinkerlitzchen gereicht hat? Realisierungsaspekte sind in vielen Belangen zweitrangig bis vollkommen unbedeutend. Außer, sie selbst beherbergen eine Aussage, etwa eine offensichtliche Aktualisierung der Thematik mit erkennbarer zeitgenössischer Kostümierung. Ansonsten haben wir es mit dem schönen Schein der blutleeren Sache zu tun. Wo interessiert denn die oberflächliche Aufführung, wenn sie keine Aussage beherbergt? Bloßes ästhetisches Interesse ist keine Sache der Kritik, es ist Sache des persönlichen Wohlgefallens. Und darüber lässt sich nicht debattieren, lediglich Ansichten können verbreitet werden.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Würde ich das Gedicht eines Selbstmord-Attentäters feiern, weil mich Poesie, Rhythmik und Stil in ihren Bann ziehen? Ja! Würde ich in der Kritik die eigenen Zweifel, den eigenen ideologischen Standpunkt erwähnen? Ja, vielleicht! Aber würde das verhindern, dass ich es für einen Literaturpreis nominiere? Nein!
Sie vermengen hier Autorenherkunft und Werksaussage. Ob jemand zu Lebzeiten ein Selbstmordattentäter war (wobei man die Beschreibung wohl erst verdient, wenn man tot ist), ob er nur Nahrungsmittel verzehrte, die freiwillig vom Baum fielen oder ob er seinen Tee mit Zucker oder Milch bevorzugte, ist bei der Bewertung seines Werkes nebensächlich, da gibt es entsprechende Positionen innerhalb der Literaturkritik. Etwas anderes ist es jedoch, ob dieses Werk eine weltanschauliche Überzeugungsarbeit leisten möchte und/oder pamphletartig kulturelle Stereotype verhärtet. Stil tröstet nicht über beispielsweise primitiven Antisemitismus und das marktschreierische Verbreiten von Vorurteilen hinweg. Durch den Inhalt wird gute Literatur von schlechter unterscheidbar, so wie auch der Stil die Spreu vom Weizen trennt, jedoch meines Erachtens weniger bedeutsam und, widerum, nur bei der Begeisterung für das Werk als ästhetisches Objekt.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Natürlich lehnt man sich dabei weit aus dem Fenster, denn jeder hat seine Grenzen. Und in dem Moment, wo man diese definiert, relativiert man seine eigene These - das ist die Krux an meiner Forderung nach absolut ideologiefreier Kritik. Vor allem, wenn sie die Moral mit einbezieht, die je nach Kultur und Standort ganz andere Gesichter zeigt. Das ist die Schwachstelle dieser Kolumne, dass man sie theoretisch bis ins Nihilistische und Menschenverachtende auslegen kann.
Dass man dies kann zeigt doch auf, dass irgendetwas an dieser These nicht so recht am Platze ist. Es ist nicht etwa die Frage, was denn bitteschön "absolut ideologiefreie Kritik" sein soll, was sie überhaupt letztendlich bewertet (wo sind die Maßstäbe von Inszenierungsbewertung?). Es ist viel eher der hervorlugende moralische Relativismus, der jede Einstellung so wie die nächste betrachtet, handele es sich um Werte der Aufklärung oder eben ein verachtungswürdiges Frauenbild islamischer Rechtsprechung. Ich weiß nicht, wie Sie über die Unterschiede zwischen begründeten und unbegründeten stark metaphysisch definierten Wertsystemen hinwegsehen können, aber wenn Sie es wirklich vermögen, dann fehlt Ihnen wohl moralisches Gefühl.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Künstlerische Begeisterung ist meist mit dem Schönen, dem Wertvollen und Erhabenen verbunden, aber auch das Abscheuliche und Groteske [Bosch, Dante, deSade, Lautréamont, Romero, Silent Hill] erreicht - den politisch inkorrekten Göttern sei Dank - diese Höhen.
Schön und hässlich sind zumindest in der ernsthaften akademischen Beschäftigung mit Kunst keine Begriffe mehr, und das seit einer ganzen Weile. Für die Kunstgeschichte ist ein Kunstgegenstand wie der andere, aber nur insofern er in einer Bildtradition steht oder auf diese Bezug nimmt. Und Hieronymus Bosch war wohl vieles, aber am wenigsten politisch inkorrekt. Was dies zur Debatte beiträgt, ist mir schleierhaft.
4P|T@xtchef hat geschrieben:TWiesengrund hat geschrieben:Ich habe wirklich nichts Großes erwartet, aber selbst darin wurde ich enttäuscht.
Wir sind hier auf einer bunten Spieleseite, nicht im philosophischen Hauptseminar der Humboldt-Universität. Trotzdem versuchen wir manchmal nachzudenken und nach Neuem zu fischen. Und manchmal braucht man keinen Hörsaal dafür, da reicht ein verdoomter Keller oder eine halbwegs beleuchtete Tonne.
Gleichgültig wo wir sind, sind wir Menschen mit Ansichten, die begründet werden wollen und das manchmal mit Mitteln, die einigen uneinsehbar oder rätselhaft anmuten dürften. Die Auswahl des Vokabulars mag variieren, doch sind die Prinzipien von Meinung und Überzeugung allgültig. Und das meine Erwartungshaltung gering war, lag an Ihren Äußerungen an anderer Stelle, die ich als sehr dünnhäutig und kritikfeindlich wahrgenommen habe. Ich bin froh, dass sich das zum Teil geändert hat.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Kolporteur von Weltanschauung? Ich übertrage bloß meine Spielerfahrung in einen Text. Ganz subjektiv und primitiv, direkt und ohne politischen Bildungsauftrag. Dass man abseits von Tests ganz anders über Spiele sprechen kann, sollte alleine die Existenz dieser Kolumnenrubrik zeigen, die das seit sechs Jahren tut.
Dann sind Sie also doch ein Spieletester, der lediglich eigene Spaßerfahrung verbreitet. Nicht, dass das anstößig wäre, doch ist es meilenweit von Kritik entfernt.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Ich schreibe keine Deutscharbeit, wenn ich an einen Test rangehe. Ich habe keine pädagogischen Ziele. [...] In den meisten Spielen geht es nicht um Gesellschaftspolitik, sondern um den Spaß am fiktiven Erleben der eigenen Macht, des Nicht-Alltags, des Außergewöhnlichen oder einfach des Stupiden, das sich ewig gleich wiederholt - auch das kann Spaß machen, wie der Volkssport WoW zeigt.
Sie übersehen vor lauter Erlebnis anscheinend Handlung und den Kontext, in welchem diese stattfindet. Handlungsgetriebene Spiele stehen in einer gewissen Erblinie mit gesellschaftlicher Realität, sie nehmen Bezug auf das, was in der außerfiktionalen Welt vonstatten geht und nehmen so teil am Zeitgeist. Wo Spielmechanik überwiegt lässt sich ein Spiel wohl schwerlich einordnen. Hier lässt sich nur auf die künstlerische Ausarbeitung und die Tiefe und Raffinesse des Regelwerkes, also auf das Spiel am Spiel, Bezug nehmen. Mit anderen Worten: wie bewertet man Tetris? Eine interessante Frage, doch spielt sie momentan keine Rolle für die Debatte.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Das ist eine Definition von Kunstkritik, die übrigens nicht ohne Grund auch eine Einschränkung enthält. Meine ist diese, und die ist auch eingeschränkt: Kunstkritik sollte in weiten Teilen Qualitäts- und Stilkritik sein.
Das
ist eine Beschreibung dessen, was sehr aktuell und weit verbreitet als Realität in der tiefschürfenden Begegnung mit Kunstwerken vorherrscht. Und das, wie oben angegeben, durchaus begründet und nicht nur, weil es in Mode ist, dies so und so zu tun. Die Zeiten, in denen man, eingeschüchtert durch gegenstandslose Kunst, diese für apolitisch hielt, sind vorbei.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Endlich mal Einigkeit: Ich halte so manche Kunstkritik, vor allem jene, die sich den Pseudowerken der Moderne widmet, für nichts weiter als intellektuelle Selbstbefriedigung. Und wieder Zwistigkeit: Ich mag dieses Masturbieren nicht.
Können Sie Beispiele nennen, an denen Sie sich reiben? Und was sind "Pseudowerke der Moderne", etwa eine negativ konnotierte Umschreibung für gegenstandslose Kunst?
Natürlich stellt gegenstandslose oder schwer durchschaubare Kunst einen Kritiker vor nahezu unlösbare Aufgaben, wenn es um die Deutung des Werkes angeht. Was ist so selbstgenügsam am Versuch?
4P|T@xtchef hat geschrieben:Manchmal steckt in einer intellektuell gefärbten Kritik zu einem Gemälde mit zwei bunten Flecken weniger Inhalt und Wert als in einem persönlich gebloggten und orthografisch grausamen Erfahrungsbericht zu einem Tchibo-Toaster.
Zeigen Sie mir doch das Beispiel auf und wir können uns gern darüber unterhalten. Wenn Sie etwas Inhalt und Wert absprechen oder es zumindest minderwertig schimpfen, dann sollten Sie dies auch begründen bzw. ganz klar darauf eingehen, was nun den Wert abspenstig macht und was nicht. Zudem verwechseln Sie beim Vergleich von Kunstkritik und Funktionalitätstests die grundlegend andere Fragestellung. Äpfel und Birnen, Flächenmalerei und Toaster.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Dito. Ich bin dabei. Nur würde ich das negative Aufregen gegen das positive Debattieren tauschen. Hey, hier hat sich doch für ein gesellschaftlich nicht gerade relevantes und vielleicht sogar verpöntes Spieleforum mit Kill0rn, Check0000rn und Rul000000rn eine fruchtbare Diskussion ergeben?
Stimmen Sie mir da gerade zu, dass Sie kein Kritiker sind?
4P|T@xtchef hat geschrieben:Wo Anmaßung auftaucht, ist die Unbescheidenheit nicht fern: Ich bin Kulturkritiker - jawoll! Ich habe es mir in dem Moment verdient, als das Spiel ein Teil unserer Gegenwartskultur wurde.
Behaupten Sie nun doch, ein Kritiker zu sein? Nicht alles, was einen Teil der Gegenwartskultur irgendwie in das ein oder andere Licht rückt, ist Kritik. Kritik erfordert Analyse und maßvolles Abwägen, Sie berichten über Spaßerfahrung und Ihre persönlichen Affekte bei der Spielhandlung. Sie sind ein Erzähler.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Und wer steckt denn bitte hinter der tiefgründigen Wiese, dass er sich anmaßt, einfach so über Nimbus und Nicht-Nimbus zu urteilen? Also bitte mal klare Blumen bei die Wiese! Ich argumentiere hier offen als Chefredakteur eines Spielemagazins und muss mich mit einer Anonymität streiten, die aus allen intellektuellen Geschützen zu feuern versucht. Wenn ich böse wäre, könnte ich da fast einen Anflug von Neid vermuten. Ich bin übrigens böse.
Interessant ist es, dass eine Position nicht genug zu sein scheint, nein, man braucht noch das passende Gesicht und eine entsprechende Vita, damit eine Ansicht erst für voll genommen wird. Wenn Sie es unbedingt wünschen, kann ich mich unter meinem Klarnamen registrieren, doch was ändert dies an der Argumentation? Vielleicht sind Sie letztlich sogar enttäuscht?
Ihre Neidvorwürfe sind erstaunlich und ich belächle das einfach einmal. Ich bin froh, dass Sie Ihre Stellung offenbar so sehr schätzen, dass Sie hinter Kritik den geheimen Wunsch des Kritikers vermuten, Sie zu sein. Klingt das pathologisch? Erkennen Sie die Fragwürdigkeit Ihrer Aussage?
4P|T@xtchef hat geschrieben:Gegen wen denn sonst? Bitte die Positionen nicht noch weiter vernebeln, es geht nichts über ein klares Feindbild! Aber wollen wir nicht alle etwas Besonderes in dieser Welt sein? Wenigstens etwas? Der eine baut gerne seine vermeintlichen Weisheiten vor Publikum auf und denkt er wäre Kulturkritiker, der andere zertrümmert sie dann mit Genuss noch viel lieber und denkt, er wäre Kulturkritikerkritiker...Eitelkeit und Selbstüberhöhung sind beiden dabei wichtig. :wink:
Ihr Feind bin ich wohl nicht und ich kritisiere ebensowenig Sie, sondern Ihre fragwürdigen Thesen. Ich halte die Arbeit des Skeptizisten für sehr wertvoll, um gerade solche als Argumentation getarnte Meinungsverbreitung aufzudecken. Was Sie davon halten mögen, ist nebensächlich. Sie werden mir wohl nicht glauben, wenn ich Ihnen versichere, dass es mir um die Sache geht. Sie scheinen ja Nebenschauplätze interessanter zu finden.
4P|T@xtchef hat geschrieben:Was? 16:16 Uhr? Toll. Jetzt hab ich keinen Kuchen mehr gekriegt...
Aber die Debatte ist doch so viel nahrhafter :wink: ...
Letztlich hätte ich noch eine Frage: was wollten Sie eigentlich mit Schiller und Schopenhauer bezwecken? Sie werfen mir intellektuelles Kreuzfeuer vor?