R_eQuiEm hat geschrieben: ↑09.02.2021 16:47Aber würdest du bitte erläutern worin die Gewaltausübung bei besagten Beispiel mit Miranda liegt?
Ich hatte schon mal geschrieben, dass fiktive Figuren keinen Consent geben können. Die Darstellung von Miranda ist also nicht auf sie selbst zurückzuführen. Stattdessen wird eine voyeuristische externe Kameraperspektive eingenommen, die Miranda kontextlos sexualisiert, mit dem klaren Ziel, einem männlichen Publikum damit einen sexuellen Leckerbissen zum Vernaschen hinzuwerfen. Sie ist dabei selbst quasi ahnungsloses Opfer. Stellvertretend steht Miranda dabei für Frauen allgemein, weil dieser Blick immer wieder aufgegriffen wird, in Filmen wie in Spielen, und immer den gleichen Zweck erfüllen soll. Frauen werden dabei sexualisiert, objektifiziert, reduziert und in letzter Instanz entmenschlicht. Es bildet sich durch diesen spezifischen männlichen Blick auf Frauen (aka "male gaze") eine geschlechtliche Hierarchie, in der sich Männer an Frauen sexuell nach Lust und Laune bedienen und solche Szenen spiegeln das wider und normalisieren das.
Und ehe du nun sagst, es ginge dabei ja gar nicht um echte Frauen; das sei nur Fantasie und eine virtuelle Frau hätte keinerlei Empfindungen und könnte daher auch nicht verletzt werden: Würdest du das gleiche auch über kinderpornographische Inhalte sagen? Könnte man das auch im Mainstream verankern, solange es nur fiktive Kinder wären, die da sexualisiert würden? Ich denke, da fiele das Urteil etwas anders aus. Dabei besteht der Unterschied eigentlich nur darin, dass Kinderpornographie nicht derart normalisiert ist in der Gesellschaft wie die Sexualisierung von Frauen. Denn um Consent und diesen überhaupt geben zu können geht es in beiden Fällen nicht, wenn die Frauen fiktiver Natur sind und die einzigen eigentlichen Akteure die Content-Ersteller und die Konsumenten sind. Wir können Lara Croft nicht fragen, ob sie damit einverstanden war, in was für Kameraperspektiven und Posen man sie gezeigt hat. Insofern findet Gewalt statt, indem man einfach meint, Frauen in Form einer virtuellen Stellvertreterin in Rollen, Posen und Outfits zu zwingen, die von den meisten Frauen mindestens als unangenehm empfunden würden, würde man das mit ihnen machen. Als Mann schafft man sich dadurch auch eine Machtfantasie, in der man über Frauen auf eine Weise verfügen kann, wie man es in der Realität nicht so einfach könnte.
Ich habe mal ausgiebiger über die Darstellung von 2B in NieR:Automata nachgedacht. Da kann man 2B ja auch unter das Kleid schauen und sie reagiert mit einer verärgerten ablehnenden Geste. Auf den ersten Blick fand ich es gut, dass die Entwickler sie so gestaltet haben, dass sie sich gegen so eine Form der Übergriffigkeit durch den Spieler wehrt. Aber als ich länger darüber nachdachte, kam ich eher zum gegenteiligen Schluss. Denn am Ende verhindert die Abwehrgeste von 2B nicht den Blick. Und man kann es immer und immer wieder tun und schlussendlich ist 2B dem hilflos ausgeliefert. Das war dann eher bedrückend für mich, weil sich damit dem Spieler die Möglichkeit einer Machtfantasie über Frauen offenbart. Denn da wird dann nicht mal so getan als existiere dieser Blick im Kontext des Spielgeschehens gar nicht, sondern es wird explizit deutlich gemacht, dass sie es nicht möchte, aber man kann das dann einfach übergehen. Damit hatte das schon etwas von einer Vergewaltigung. Ein Gegenbeispiel war Lollipop Chainsaw, bei dem es trotz Versuchen nicht gelingen kann, einen Blick unter den Rock zu erhaschen, weil die Figur rechtzeitig den Blick blockiert. Da kann der Spieler also nicht einfach die Figur übergehen. Die Figur reagiert auf den Versuch und behält die Souveränität, sodass hier keine Machtfantasie befriedigt werden kann. Es sind manchmal absolute Kleinigkeiten, die aber den maßgeblichen Unterschied ausmachen.
Also bitte wirklich differenzieren und herausfinden, was jeweils konkret kritisiert wird und warum.
R_eQuiEm hat geschrieben: ↑09.02.2021 16:47Und warum ist der sexuell einfach gestrickte, muskelbepackte und verschwitzte Holzfäller/Werwolf/Vampir/Millionär nicht sexualisiert?
Weil er der Frau nicht grundsätzlich unterlegen ist und auch nicht in einer langen Tradition steht als (fiktives) Opfer weiblichen Begehrens durch Frauen als "Alpha-Geschlecht" in der Gesellschaft. Man kann die Stereotypisierung von Männern durchaus kritisieren. Da werden Männer mit einem Idealbild konfrontiert, dem sie dann auch entsprechen sollen/wollen, und oft eben nicht können. Dass das also nicht unbedingt gut ist, darüber brauchen wir wohl nicht reden. Und ich bin auch der Meinung, dass so ein Männerbild eben auch patriarchal geprägt ist. Frauen wird genau so von klein auf vermittelt, dass Männer so sein sollen und solche Männer entsprechend erstrebenswert seien. Dazu gehört es auch, sich in solchen Fantasien eben nicht gerade emanzipiert zu verhalten. Insofern ist dieses Klischee durchaus kritikwürdig. Aber es steht wie gesagt in keiner Tradition, in der Frauen solche "Ideale" gegenüber Männern irgendwie gewaltsam durchgesetzt hätten. Wann haben Frauen Männer zwangsverheiratet? Wann zwangsprostitiert, wann in Kriegen scharenweise vergewaltigt? Wann mussten Männer um Wahlrecht, Autofahren, Konto, Beruf, sexuelle Selbstbestimmung, usw. kämpfen, was ihnen die Frauen bis dahin verwehrt hatten? Weibliche Sexualität wurde stets von Männern kontrolliert. Entweder indem sie völlig keusch sein mussten und ihnen keine Sexualität zugestanden wurde, oder indem sie sexuell reduziert wurden und bei Verstößen gegen die auferlegte Keuschheit zur Hure erklärt wurden, was wir heute noch beim Slutshaming sehen. Frauen hatten keine sexuellen Gelüste zu haben, sondern sich beim Sex einfach dem Mann gefügig zu machen. Wenn er kam, war Schluss mit Sex. So war es lange Zeit völlig normal. Und in dieser Tradition steht auch der "male gaze" und entsprechende Po-Schwenk-Szenen. Solch eine Tradition fehlt bei Frauen komplett. Wenn Frauen also Romane über hünenhafte Romantik-Piraten lesen, dann schauen sie dabei nicht auch gleichzeitig mit einem Blick auf Männer, der sie irgendwie unter sie stellt, und der sie als Ware betrachtet, die sie einfach konsumieren können. Das ist der entscheidende Unterschied.