VaniKa hat geschrieben: ↑05.05.2020 11:50
Ich mag diesen Politikbegriff zwar nicht, weil er missbraucht wird, wie ich auch zuvor schon geschrieben habe, aber er beschreibt in dem Verständnis, wie Jörg es z.B. beschrieben hat, was ich eigentlich meine, wenn ich versuche, Zusammenhänge deutlich zu machen, was z.B. ein Aristoteles mit Gamergate zu tun hat. Zeitgeist wurde es auch genannt, doch Zeitgeist wird eher harmlos verstanden. Er steht für einen unbewussten und unreflektierten Umgang mit dem Status quo. Viele bleiben im Diskurs bei der Beschreibung des Ist-Zustandes stehen, wie z.B. "es spielen nun mal mehr Männer". Was ich aber viel wichtiger finde, sind die Gründe dafür. Warum ist das heute so und warum ist das so geworden? Wo liegt der Ursprung und was sagt das über unsere Gesellschaft und uns selbst, wenn wir unseren eigenen Umgang damit betrachten?
Wenn also Männer noch immer eine Mehrheit im Core-Gaming darstellen, ist die Frage, warum das so ist. Erste naheliegende Antwort: Weil mehr Männer spielen wollen als Frauen. Aber warum? Dann kommen wir zu den Anreizen und Hemmnissen. Ich denke, wenn man zurückschaut in die eigene Kindheit, in der man mit Videospielen vertraut gemacht wurde, wird man feststellen, dass das eher ein "Jungsding" war. Als Mädchen war man da eher ein Sonderfall. "Leider" sind wir hier unter Spielern, wodurch sich die Frage in den Raum weitestgehend erübrigt, wie sich Videospiele für die Mehrheit der Frauen angefühlt haben, die nie mit dem Spielen angefangen haben. Hauptgrund wird gewesen sein, dass es einfach kein Thema war, das an einen herangetragen wurde und das sich als attraktiv dargestellt hat. Das Bild "unreifer Jungen, die nie erwachsen werden" und die Brandmarkung von Spielen als "unnütze Zeitverschwendung" hat sicher viele "vernünftige" Frauen abgeschreckt. Puppen galten als nützliches Spielzeug, weil sie auf den späteren prädestinierten Job als Mutter vorbereitet haben. Bis heute hat sich diese Vorstellung gehalten, dass Männer "Spielkinder" seien, wenn sie noch als Erwachsene mit ferngesteuerten Autos spielen oder ihre elektrische Eisenbahn pflegen. Frauen gelten ab einem bestimmten Alter als reifer.
Aber ist das wirklich so? Oder ist das nur die Art und Weise, wie Jungen und Mädchen erzogen werden? Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie leicht man vom "Loser" zum "Überflieger" werden kann, wenn sich die eigenen Ansprüche und die der Gesellschaft verändern (bei mir war ein Schulwechsel dafür verantwortlich). Wenn von Frauen verlangt wird, reifer zu sein, dann werden sie das auch. Wenn Männern zugestanden wird, "Spielkind" bleiben zu dürfen, dann bleiben sie das auch häufig. Die Frauen lächeln dann über ihre "albernen" Partner, aber eigentlich könnte es auch anders herum sein. Nichts davon ist irgendwie "natürlich" oder "biologisch" determiniert.
So entstehen die starren Kategorien, die durch Anreize auf der einen Seite und Hemmnisse auf der anderen Seite gesteuert werden. Nicht von irgendwelchen Strippenziehern, sondern von allen, unbewusst durch die eigene Prägung (aka Sozialisation). Wenn eine Mutter dem Sohn verbieten möchte, mit Puppen in die Schule zu gehen, dann nicht, weil sie denkt: "Ich möchte die Geschlechterrollen bewahren." Sondern weil sie fürchtet, dass ihr Sohn deswegen gemobbt wird. Letztlich trägt sie so aber dennoch zum Fortbestand des Problems bei. Auch das ist "Patriarchat".
Wie oft musste sich ein Junge oder Mann anhören, er wäre wegen irgendetwas ein "Weichei"? Wie oft hat er sich Sorgen gemacht, so gesehen oder bezeichnet werden zu können von seinen Freunden und dem entgegen zu wirken versucht? Aber hat er sich dabei jemals gefragt, warum es überhaupt schlimm für ihn als Jungen war und ist, ein "Weichei" zu sein? Hat er jemals darüber nachgedacht, warum es für einen Jungen eine Beleidigung ist, "schwul" oder "Mädchen" genannt zu werden? Hat er sich jemals gefragt, warum er als Junge oder Mann einem bestimmten Bild von "Männlichkeit" entsprechen muss, das die Abwertung schwuler Männer oder Frauen beinhaltet?
Das, was ich im letzten Absatz beschrieben habe, ist "toxische Männlichkeit", als Teil gesellschaftlicher Normen, die sich schädlich auf das menschliche Miteinander auswirken. Jedem Mann bieten sich da drei Möglichkeiten im Umgang: Klappe halten, mitmachen oder dagegen halten. Es gibt gute Gründe, nicht Letzteres zu tun, denn die sozialen Sanktionen innerhalb der Peer-Group können enorm sein. Also passen sich die meisten an und übernehmen die ungeschriebenen Gesetze in ihr Weltbild. Was normal ist, erscheint richtig.
Das Problem am Patriarchat ist, dass es ausschließlich über diese Art von Mechanismen funktioniert. Es gibt keinen "Patriarchen", den man bloß stürzen müsste. Ohne einen bewussten Wechsel in die Vogelperspektive über Zeit und Raum nimmt man nicht wahr, was da eigentlich vor sich geht. Jeder einzelne geht für sich nur seinen Weg und trifft dabei auf bestimmte Dinge, die einen persönlich stören oder einem nützen. Aber ohne größeres Bild bleibt das diffus. Man nimmt eigene Privilegien nicht wahr, weil diese als normal und selbstverständlich wahrgenommen werden. Man denkt nicht darüber nach, wie es anderen damit geht. Jeder hätte sein Päckchen zu tragen und jeder wäre seines Glückes Schmied, heißt es da oft.
Auf dieser Mikroebene ist kein Patriarchat wahrnehmbar. Da ist ein Spielestudio, das sich sexistisch verhält, bloß ein Einzelfall, und Sexismus auch bloß etwas, das von einzelnen Männern ausgeht. Ich merke jedes Mal, wie sich auf diese Ebene zurückgezogen wird, um Zusammenhänge zu leugnen. Das muss nicht mal unbedingt mit böser Absicht passieren, aber die beschriebene Vogelperspektive muss man eben erst mal einnehmen und das haben die wenigsten. Da klafft das größte Verständnisproblem, wenn Feministinnen und Feministen mit Leuten sprechen, die sich nie damit befasst haben, sondern rein aus ihrer persönlichen Erfahrung und ihrer subjektiven Deutung sprechen.
Und daher bedarf es auch leider jedes Mal eines Vorworts in dieser Art, um sich einem konkreten Thema wie LGBTQ-Darstellung in Videospielen zu nähern. Ich hoffe, dass dadurch klarer wird, woher die Ablehnung gegenüber solchen Inhalten kommt. Sie greifen dieses unsichtbare Geflecht patriarchaler Gesellschaftsstrukturen an. Früher hetero und Mann und Frau, um Nachwuchs zu zeugen. Scheinbar natürlich und von Gott gewollt. Heute plötzlich Leute, die einfach lieben, wen sie wollen. Früher traditionelle Familie, heute Schwulenpaar mit Adoptivkind. Die Vorstellung bestimmter "Werte" ist offenbar so tief verankert in den Weltbildern vieler Menschen, dass erst bei der Herausforderung durch Alternativen klar wird, in welchem Ausmaß das eigentlich der Fall ist. Viele Menschen sehen da wirklich die Säulen ihrer Welt wegbröckeln, auf denen alles fußt, was für sie Wert und Sinn hat. Manche fühlen sich da wirklich fundamental bedroht. Für manche nimmt das offenbar sogar Ausmaße an, dass ich den Vergleich nicht scheue, das mit den Nazis zu vergleichen, die sich und ihre Kinder lieber umgebracht haben als in einer Welt ohne Nationalsozialismus zu leben. In den USA finden wir diese Form von Radikalität. Da verwundern mich Attentate und Amokläufe nicht wirklich, weder von rechter, noch von islamistischer Seite. Je mehr "Liberalismus" und "Progressivität" es gibt, desto stärker werden diese Leute auch getriggert. Ich spreche da durchaus von einem Kulturkampf, der hier in vollem Gange ist.
Da geht es längst nicht nur im Videospiele. Die Debatten um Videospiele sind ein winziger Nebenschauplatz. Sie finden aber aus den gleichen Gründen statt wie in anderen Bereichen, wo es z.B. um Gender-Paygap, Sexismus, Frauenquoten, Geschlechterrollen und Migration geht. It's this big, Leute. All diese Themen wie der zu flache Arsch der Wolfenstein-Zwillinge, die Kritik an Escape from Tarkov wegen fehlender weiblicher Models, Sexismus bei Riot, die Behandlung von weiblichen Spielerinnen in Voicechats oder die sexuelle Orientierung einer Protagonistin gehören alle zum selben großen Themenkomplex.
Ich habe auch einfach keine Lust mehr, mit Leuten zu diskutieren, die immer versuchen, alles auf eine Einzelfallebene runterzudummen, damit man die Maschen des patriarchalen Netzes nicht mehr erkennen kann. So kann man sich aus allem rauswinden, weil alle zu Einzeltätern gemacht werden, ohne einen größeren Kontext zu berücksichtigen, der ursächlich für jedes einzelne Verhalten ist. Es geht darum, die Probleme an der Wurzel zu packen, indem man die Ursachen aufdeckt. Und die Ursachen sind Denkmuster, die Jahrtausende zurückreichen. Der Weg zur Besserung ist Aufklärung. Wie sagt man so schön: Gefahr erkennt, Gefahr gebannt. Das ist aber nicht möglich, wenn man die Strukturen leugnet, die für alles verantwortlich sind.
Männer müssen die Kritik annehmen, die nicht ihnen persönlich gilt, sondern einem System, das auch sie fest im Griff der Unterdrückung hat und sie zu Instrumenten macht. Viele Männer haben das bereits erkannt und etablieren neue Standards von nicht-toxischer Männlichkeit, die Frauen achtet und sich nicht als Herrscherkaste begreift. Aber dazu bedarf es aktuell noch "Eiern". Darin liegt die Stärke und nicht im Niedertreten sämtlicher Veränderungsbestrebungen wie der Etablierung normaler Menschen wie lesbischen Frauen oder farbigen Menschen in Videospielen.
Es mag sich jemand subjektiv eine Welt wünschen, in der es einfach keine homosexuellen Menschen oder Menschen mit anderer Hautfarbe gibt, weil die dann irgendwie besser wäre in der eigenen Vorstellung. Kann man sich auch gerne wünschen. Was man hingegen nicht kann, ist so eine Welt zur Realität machen zu wollen, denn das würde auf Kosten eben dieser Menschen gehen, die man nicht haben will. Und da jeder Mensch gleichermaßen Menschenrechte besitzt, geht das einfach nicht. Es ist eigentlich so einfach. Goldene Regel. Möchte man selbst stets als Sonderfall gesehen werden? Möchte man in den Medien unter den Teppich gekehrt und in der Öffentlichkeit zur Unsichtbarkeit verdammt werden? Möchte man mit verschiedensten Vorurteilen behaftet oder eklig gefunden werden? Möchte man als Belustigung anderer dienen und die eigene Zugehörigkeit als Schimpfwort gebraucht sehen? Möchte man nicht. Warum tut man dann anderen genau dies an? Weil man es kann, es stets normal war, man selbst nicht betroffen ist und einem die anderen egal sind. Aber sorry, das ist eine absolut beschissene Einstellung. Und heute kann sich im Gegensatz zu früheren Generationen niemand mehr rauswinden, er hätte das nicht gewusst, denn niemals wurde offener darüber gesprochen.
PS: Mehr werde ich dazu auch hier nicht schreiben.