Allgemeiner Politikthread

[Wulgaru]

@douggy
Natürlich ist die Gesellschaft nicht verroht. Früher wurden Kinder viel häufiger verprügelt, früher wurdest du auch von deinen Lehrern verprügelt und gedemütigt. Ganz zu schweigend davon das man früher wenn Missbrauch geschehen ist, also etwas was über Prügel hinausging, selbst dann häufig nichts unternommen hat, wenn er bekannt war. Das war alles sehr viel bigotter.

Ich finde es immer höchst seltsam wenn man meint das es heute schlimmer geworden sei. Gerade Erziehung ohne Gewalt war ein Konzept was früher gar nicht bekannt war, egal wie konsequent man es durchhält. Fernsehen verroht uns bestimmt nicht. Das was einem schlimmer vorkommt, ist eben das man heute in den Medien über Dinge aufgeklärt wird, die früher nicht an die Öffentlichkeit gekommen sind.

Dein Punkt mit der Gewaltdefinition ist aber interessant. Ich habe ja schon eingangs dieser Diskussion folgendes gesagt: Kinder werden nicht im gleichem Maße als gleichwertige Menschen angesehen wie Erwachsene. Übertrage die Situation wo du einem Kind eine "lehrreiche" Tracht Prügel verpasst, auf einen Kontext wo du ähnlich unzufrieden mit einem Erwachsenen gegenüber bist. Klar, auch da gibt es Prügeleien, aber die gelten als assozial und das zu Recht. Bei Kindern ist das seltener der Fall..."da rutscht die Hand mal aus". Glaube nicht das einem im Büro mal die Hand bei nem Kollegen ausrutscht der was verbockt hat. Dieser moralische Doppelmaßstab ist der Grund warum Kinder auch hierzulande geschlagen werden.

[Oynox]

Mein Vater hat zweimal versucht eins seiner Kinder geschlagen und sich beide Male die Hand dabei gebrochen oder gestaucht. Also lässt man besser die Finger davon. Würde mein Vater je sein Kind schlagen würde meine Mutter ihn sofort verlassen. Bei sowas hört der Spaß auf. Kinder schlägt man nicht. Wer das macht gehört berechtigt bestraft.

Jedes Kind, das ich kenne, das in seiner Kindheit geschlagen wurde, hat in irgendeiner Form immer noch Schäden bis zum jetzigen Zeitpunkt getragen. Und zwar größere Schäden, als sonst schon jeder Mensch im Kopf hat.

[Gast]

Kurzes Statusupdate: Die Generalbundesanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org wegen Landesverrats eingestellt.
https://netzpolitik.org/2015/generalbun ... uns-nicht/

[mr archer]

https://medium.com/@skoops/in-meinem-bü ... 90ef048415

[KING_BAZONG]

Ich favorisiere "Bessermensch".

Gut - Besser - Paulaner

[Wulgaru]

War Gutmensch nicht schon immer ein Schimpfwort um irgendjemanden zu verunglimpfen?

[mr archer]

War Gutmensch nicht schon immer ein Schimpfwort um irgendjemanden zu verunglimpfen?

In meiner Wahrnehmung ja. Habe ich dem Autor auch über Twitter gefeedbacked. Er pflichtete gleich bei.

Es gibt hier im Forum aber auch verständige Leute, die den Begriff ursprünglich neutral sehen. Mir fällt das angesichts seiner Verwendungspraxis (siehe K.B.) allerdings sehr sehr schwer.

[Wulgaru]

Ich weiß nicht. Ich kenne die Wortherkunft nicht, wer das wie in welchem Kontext etabliert hat. Wenn das mal neutral war, dann kann ich das nachvollziehen. Als ich das Wort zum allererstem mal gehört habe, hatte es diese negative Bedeutung schon.

[Wigggenz]

Wenn ich mich richtig an meinen Geschichtsunterricht erinnere, war das schon in der politischen Rhetorik von Weimar ein Kampfbegriff...

[mr archer]

Als ich das Wort zum allererstem mal gehört habe, hatte es diese negative Bedeutung schon.

Der Begriff ist im Moment seines Hochkochens im deutschsprachigen Diskurs irgendwann Anfang der 2010er Jahre (PI? AdG-Broder?) ein Diffamierungsbegriff zur Verächtlichmachung politischer Gegner "der Linken" gewesen, den die Neue Rechte sofort gekapert hat - wenn sie ihn nicht letztlich doch selbst ausgekocht hat.

[Wulgaru]

Als ich das Wort zum allererstem mal gehört habe, hatte es diese negative Bedeutung schon.

Der Begriff ist im Moment seines Hochkochens im deutschsprachigen Diskurs irgendwann Anfang der 2010er Jahre (PI? AdG-Broder?) ein Diffamierungsbegriff zur Verächtlichmachung politischer Gegner "der Linken" gewesen, den die Neue Rechte sofort gekapert hat - wenn sie ihn nicht letztlich doch selbst ausgekocht hat.

Erst so eine kurze Zeit? Ich meine den schon früher gehört zu haben, allerdings ist es wohl ab dann verstärkt im Internetdiskurs aufgetreten. Eigentlich aber recht praktisch, da es ja im Grunde ist als wenn man ein Schild hochhält. Weiß man woran man ist.

[KING_BAZONG]

"Gutmensch" ist ja nur das Pendant zur Nazikeule, zum "Rechtspopulisten" oder gar zum "Rassisten" (was ja automatisch jeder ist, der linke Positionen nicht teilt und nickend übernimmt, so zumindest der Tenor in den entsprechenden Dialogen). Sollte man nicht zu hoch hängen, das Ganze
Wortspielereien eben, um das Gegenüber zu diffamieren oder zumindest in die entsprechende Schublade zu stecken .....

Was von Links klappt, klappt eben auch von Rechts.
Gleiches Recht für alle

Dass der Autor des Beitrags sich erst jetzt damit konfrontiert sieht, zeigt deutlich, in welcher Wohlfühl-Oase oder in welchem Kokon er sich bis jetzt befunden hat, ziert der Begriff doch seit locker 10 Jahren die Internetdebatte

Ein herzliches "Guten Morgen" an ihn, den Schnellmerker

[mr archer]

"Gutmensch" ist ja nur das Pendant zur Nazikeule, zum "Rechtspopulisten" oder gar zum "Rassisten"

Und das ist eben der absichtlich zu Grunde gelegte Irrtum. "Nazi", "Rechtspopulist" und "Rassist" sind nicht nett gemeinte Zuschreibungen für klar definierbare politische Strömungen des rechts-völkischen politischen Spektrums. Da gibt es Agenden und begriffsgeschichtliche Herleitungen und Traditionen, auf deren Grundlage man in den Meinungsstreit gehen kann. "Gutmensch" ist alles und nichts. Diese Bezeichnung vermeidet bewusst jede klare Definition. Nirgends gibt es ein Programmatik "der Gutmenschen", die man mal nachlesen könnte. Ich habe sie bereits als Beschimpfung gehört für: Umweltschutzaktivisten, Menschen aus der Flüchtlingshilfe, Grüne, Linke, CDUler, Bühnenkünstler, Vegetarier, Tierschützer, Kotaku-Leser, Freifunk-Aktivisten, Anhänger der Cultural Studies, Nachrichtenmoderatoren, Schauspieler. Und weiß der Fuchs. Aktuell ist scheinbar sogar Til Schweiger ein "Gutmensch". Obwohl den das Wutbürger-Gefraster gestern noch total knorke fand, wegen seiner "Todesstrafe für Kinderschänder" - Attitüde. Heino ist demnächst wahrscheinlich auch ein "Gutmensch". Hat sich für Solidarität mit Flüchtlingen ausgesprochen.

Äquivalent ist hier aber mal gar nix.

[KING_BAZONG]

Hier liegst Du natürlich nicht ganz richtig und das weißt Du auch
Es kommt selbstverständlich auf den Zusammenhang an, in welchem man den Begriff seinem Kontrahenten entgegenschleudert, da tut der eigentliche Sinn dahinter und ob dieser Sinn dem Gegenüber auch entspricht (oder ob man nur Vermutungen anstellt und die Axt im Walde spielt, Hauptsache diffamiert) nichts zur Sache. Das ist immer so.
Gutes Beispiel von Dir, Till Schweiger. Gestern noch als Rechter beschimpft mit Nähe zu Nazi-Gedankengut, heute der Vorzeige-Bessermensch. So schnell kann's gehen in den Augen von Links- oder Rechtspopulisten (hehe...)

[mr archer]

Aha. Demzufolge sind "Nazi" und "Gutmensch" also kontextabhängige Begriffe, die mal als Lob, mal als Tadel zu begreifen sind.

So so.