Nachdem ich es durchgespielt habe, möchte ich einige Eindrücke wiedergeben.
Generell gilt: Wer vergleichbare Spiele gespielt hat, wird mit GTA5 unkritischer umgehen, als jemand, der viele solcher Spiele gespielt hat. Für so jemanden ist vieles eben noch neu und toll. Ich bin mir zumindest ziemlich sicher, dass viele derjenigen, die in diesem Thread gegen 4players wettern, eher wenig oder durchschnittlich viel Erfahrung mit Videospielen haben. "Viel Erfahrung" würde für mich bedeuten: "mehr als 500 Spiele gespielt" und "mehr als 5 Spiele dieses Genres intensiv". Wie gesagt: Jedem seine Meinung, aber von einem Spieletester erwarte ich, dass er zu denen mit viel Erfahrung gehört und neue Spiele gewissermaßen historisch einordnen kann. Optimal ist es natürlich, wenn im Test differenziert wird (bspw. "Wer das Genre noch nicht kennt ..." / "Für alte Hasen ohne Besonderheiten" etc.), was ja z.T. auch geschieht.
Damit Ihr meine Kritik einordnen könnt: Intensiv gespielt habe ich, was vergleichbare Spiele angeht, GTA 1-3, Vice City, San Andras, GTA 4, Saints Row 1-4, Prototype, Batman AA und AC. Andere habe ich weniger intensiv gespielt, daher liste ich sie nicht auf.
Nun zu meinen Eindrücken:
1. Für einen PCler ist die Grafik erstmal ein Schlag ins Gesicht, besonders wegen der Auflösung und der fehlenden Kantenglättung. Die Welt ist aber sehr liebevoll gestaltet und beeindruckend detailliert. Kaum eine Ecke gleicht der anderen, und wer LA kennt, kann sich vor Déjà-Vues kaum retten. Einfach toll!
2. Wer die Spielmechanik durchschaut, kann aber schnell ernüchtert werden, denn die Welt ist letztlich noch immer Fassade. Gebäude sind nach wie vor nur zu betreten, wenn eine Mission das vorsieht oder wenn sie als Geschäfte auf der Karte markiert sind. Dadurch verringert sich, zumindest bei mir, der Anreiz, mir die Orte genauer anzusehen, massiv. Die Grafik ist gewissermaßen leer und inhaltslos. Zudem werden die (liebevoll gestalteten) Zufallsmissionen ohnehin als blaue Punkte auf dem Radar angezeigt, also gibt es auch hier keinen Anreiz, genauer hinzusehen. Die paar Plakate etc., die auf irgendeinen popkulturellen Aspekt anspielen, reißen das nicht raus.
3. Die Geschäfte sind letztlich an einer Hand abzuzählen, da es bei solchen einer Marke auch immer dasselbe zu kaufen gibt. Man kann mehr bekommen als in GTA4, aber im Vergleich zu Saints Row ist das Angebot lächerlich gering, zumal es manchmal auch nur dasselbe Kleidungsstück in verschiedenen Farben ist. Die Farben lassen sich nicht frei anpassen, und es lässt sich auch nicht alles miteinander kombinieren. Ebenso wenig lassen sich Gebäude aufwerten (bessere Ausstattung o.ä.), Unterschlupfe werden durch Missionen erspielt. Die Frisurenauswahl ist ein Witz.
4. Das Modifizieren der Autos ist im Vergleich zu Saints Row auch massiv eingeschränkt. Effektiv gilt: Es gibt einen mittleren Fuhrpark, den die Designer wohl für Spieler interessant fanden, und dieser lässt sich einigermaßen modifizieren. Je gewöhnlicher (Kombi) oder seltener (Supersportwagen) die Autos aber sind, desto weniger Optionen gibt es - bis dahin, dass an der Karosserie nichts verändert werden kann. Zudem gilt: Geklaute Autos bleiben zerstört oder verloren, wenn sie es einmal sind. Man bekommt sie nicht wieder. Nun kann man einwenden, da sei man selbst schuld. Aber bedenkt, dass es schon reicht, mit einem geklauten und teuer modifizierten Auto zu einer Mission zu fahren, die ein anderes Fahrzeug vorsieht. Damit ist man sein anderes dann los!
5. Es gibt kaum Geld für Missionen, und wer nicht an der Börse spekuliert, kann bis zum Spielende warten, bis er mehrere Gebäude kaufen darf. Diese bringen ein paar nette Zufallsmissionen, aber nach Spielende ist das auch nicht besonders motivierend, denn diese Missionen sollen dazu führen, noch mehr Geld zu bekommen. Wofür? Noch mehr Gebäude, die ich nicht betreten darf? Um mir Autos zu kaufen, die ich überwiegend auch klauen (oder mir gleich anstatt der Gebäude kaufen) kann? Es gibt zu wenig Möglichkeiten, Geld sinnvoll und vor allem während des Hauptspiels auszugeben.
6. Die Figuren führen ein Eigenleben, was einerseits klasse umgesetzt ist (ich wechsele zu Trevor und er wacht in einer absurden Situation auf). Andererseits ziehen sie sich ständig um, sodass man, sofern einem das wichtig ist, viel Zeit darauf verwenden muss, sie wieder dem eigenen Geschmack anzupassen. Sets lassen sich nicht abspeichern. Zum Teil werden die Einstellungen für die Dauer einer Zwischensequenz auch schlicht ignoriert. Eine Interaktion mit den Stadtbewohnern ist so gut wie nicht möglich und beschränkt sich auf Beleidigungen, bis sie einen angreifen.
7. Die Folterszene ist eigentlich nicht der Rede wert. Wer hin und wieder mal ein Buch liest, hat schon weitaus (das meine ich wörtlich: weitaus!) Schlimmeres hinter sich. Unangenehm ist aber, dass man hier in einem interaktiven (!) Medium keine (!) Wahl hat. Man muss die Mission machen, wenn man das Spiel als solches weiterspielen will, und ich behaupte, viele machen das schon alleine deswegen, weil sie kein Geld in den Sand setzen wollen. Ich fand die Szene aus diesem Zwang heraus unangemessen, denn auf diese Weise wird einem kein Spiegel vorgehalten, und im Gegensatz zur Literatur kann ich auch keine Distanz aufbauen. Ich bin das, der foltern muss. Eine Zwischensequenz hätte es für die Pointe auch getan. Im Übrigen wird Waterboarding gewissermaßen sogar verharmlost, denn von den Methoden, die man zur Auswahl hat, ist sie die "humanste". In diesen Kategorien will ich nicht denken müssen. Es gibt immer die Wahl, nichts zu tun. So sollten im Übrigen auch gerade 12-Jährige nicht denken müssen (und machen wir uns nichts vor: Das ist trotz Alterkennzeichnung eine einkalkulierte und gewollte, in jedem Fall aber reale Zielgruppe). Man mag einwenden, dass dieses Spiel ohnehin einem Amoklauf gleicht. Richtig, aber die gesamte Action, die GTA auszeichnet, ist übertrieben und unpersönlich. Deshalb berührt sie einen nicht. In der Folterszene werde ich hingegen angefleht aufzuhören. Ich behaupte mal, wenn man solche Reaktionen verletzter und sterbender Personen auf die Hauptspielmechanik übertragen würde, hätte das Spiel auch einen massiven Einbruch in den Absatzzahlen ...
8. Knüpft direkt an Punkt 7 und den Test an: Das Spiel ist letztlich erschreckend linear. Das Hin- und Herschalten zwischen den Figuren wird immer wieder ausgehebelt, weil Person A bis Mission X von Person B warten bis, um selbst wieder neue Missionen freigeschaltet zu bekommen. Es gibt keine wirklichen Auswahlmöglichkeiten, außer vielleicht, ob ich bei einem Raubüberfall brachial oder subtil vorgehen möchte. Die Zahl der Raubüberfälle ist übrigens unerwartet gering. Das Spiel gaukelt einem zunächst vor, die Raubüberfälle wären ein zentraler Bestandteil, für den man NSCs aufbauen sollte. Letztlich ist für eine richtige Entwicklung aber gar nicht die Zeit, da sich 90% der Missionen um andere Aspekte drehen.
9. Das Spiel duldet so gut wie keine eigenen Herangehensweisen und ist innerhalb der Missionen massiv gescriptet!
Beispiel: Mein Hund sucht Güterwagen nach einem Verdächtigen ab. Ich muss immer wieder auf ihn umschalten, damit er weitergeht. Einfach gleich alle Wagen zu öffnen, ist nicht möglich. Als ich beim letzten Wagen bin, stehe ich auf der anderen Seite, und solche Wagen haben ja auch Türen auf beiden Seiten. Von drüben höre ich den Hund bellen, aber öffnen lässt sich die Tür von hier nicht. Als ich also um den Wagen herumgehe und ihn öffne, passiert was? Klar, die Seite, auf der ich vorher stand, ist nun offen, und der Dieb flieht. Warum? Weil die Entwickler das so wollen.
Schlimmer ist das bei Verfolgungsmissionen. Langsame Fahrzeuge (z.B. LKW) werden so irsinnig beschleunigt, dass man sie vor dem Triggerpunkt nicht überholen kann, egal, wie man fährt. Und es ist wirklich relativ egal, denn zugleich ist bis zu einem gewissen Limit Rubberbanding aktiv. Am besten fährt man also halbwegs gemächlich hinterher. Schießen bringt z.T. auch nichts, weil die Fahrzeuge bis zum Triggerpunkt unverwundbar sind. Öder geht es nicht.
Kurz und gut: GTA lässt so gut wie keine eigenen Entscheidungen zu. Man hat keinen wirklichen Einfluss auf die Spielwelt.
Unter diesem Umstand kann ich es auch sehr gut verstehen, wenn im Test von einer Stagnation auf hohem Niveau gesprochen wird. Die Spielwelt mag offen sein - dauerhaft oder gar aufgrund von Entscheidungen beeinflussbar ist sie nicht!
10. Der Umgang mit Sex ist in diesem Spiel zum Fremdschämen, dürfte aber so einige Pubertierende befriedigen.
11. Der Hund lässt sich nur über eine App trainieren, also außerhalb des Spiels. Bildschirmphotos lassen sich nur speichern, wenn man einen Account beim "Social Club" hat. Beides lehne ich ab; zugleich bin ich aber sauer, dass mir dadurch Features entgehen. Sie sind künstlich aus dem Spiel entfernt, um (wahrscheinlich) Daten abzugreifen, und das bei einem Vollpreistitel. Dieser Punkt ist mir letztlich auch als einziger richtig übel aufgestoßen.
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Bei 11 Punkten will ich es mal belassen. Ich habe mich hauptsächlich auf negative Kritikpunkte bezogen, weil sie schlicht Fakt sind, in den ganzen Hypewertungen aber untergehen. Demgegenüber stehen eine Menge positiver Aspekte: Wer San Andreas mochte, wird auch dieses Spiel wieder mögen. Ich habe es gerne gespielt und kann es durchaus empfehlen, aber die o.g. Punkte haben mich gestört. Es ist mehr von allem, aber damit hat es sich auch schon. Es ist nicht innovativ und auch nicht das beste Spiel aller Zeiten. Das ist ohnehin "Alter Ego" aus den 80ern
