Ich spiele seit dem Jahr 1992 Ballerspiele. Zwanzig Jahre. Klar – ich hätte in der Zeit auch einen anständigen Beruf lernen können, Kinder aufziehen oder wenigstens ein zumindest halbwegs bekanntes Buch schreiben. Noch ein, zwei Sprachen lernen. Ja, Mutter, ist ja gut. Nein, ich komme Euch nicht besuchen.
Pardon. Wo war ich? Ach ja, zwanzig Jahre Ballern. Was ich sagen wollte:
Alpha Prime ist krass! Hier, so was macht dieser Titel mit alten Säcken:
http://seniorgamer.wordpress.com/2010/0 ... pha-prime/
Natürlich bin ich eine viel härtere Sau als der bekannteste alte Videospielsack des Landes. Das heißt, ich habe mir im Gegensatz zu diesem bequem gewordenen Fossil meinen sportlichen Ehrgeiz bewahrt. Und
Alpha Prime auf "Normal" ohne Cheats durchgespielt. Und ohne den nachgereichten Patch, der tatsächlich hauptsächlich dazu da war, die AI etwas zu entschärfen. Muss man sich mal reinziehen! Ein offizieller Firmenpatch, um die AI eines Shooters runterzuschrauben. Ich wüsste nicht, von so etwas noch einmal gehört zu haben.
Na ja. Ehrlicherweise muss ich einräumen: einmal habe ich doch den God-Cheat aktiviert. Hüstel. Da war so ein Raum mit so gut wie keiner Deckungsmöglichkeit, in dem der Lover von Livia, meiner zwielichtigen Ex an der Datenbank der Firma rumschraubte. Ich musste ihm dabei für ein paar Minuten den Rücken frei halten. Und ich hatte nur noch 40 auf meiner Healthanzeige, keine Med-Station in der Nähe und fast kein Hubbardium mehr zur Aktivierung der Bullet Time. Nachdem ich die erste Welle noch gerade so plätten konnte, rückte die zweite mit zwei Flammenwerfer-Dudes in ihrer Über-Armor an. Das war dann der Moment, in dem ich mir eingestehen musste, dass ich zu schwach für
Alpha Prime bin. Ich habe den God Mode nach dieser Szene wieder deaktiviert. Nach der insgesamt dritten Welle. Nicht zu machen. Nach zwanzig Jahren knackt mich ein Spiel dieses Genres. Es war die reinste Vergewaltigungserfahrung.
Zeit, Euch jemanden vorzustellen. Filip Doksansky, Chefprogrammierer und AI-Verantwortlicher von Black Element Software. Der Gute schreibt am 22.6.2007 im Firmenforum einem User folgendes:
"Problem with AI is that when you make it too easy, you make them dumb too. They can
either stay and wait for shot (what is dumb) or the can be coward, to at least force them to runaway (but this looks ridiculous). I know that AP is hard, but I guess that it's huge disapointment, that people are frustrated and angry and they think that AI is cheating. No, it is not and there are good ways how to trick them. When you walk slow and silent, do not clash against physics obstacles, as they make noise and you don't point flashlight at them, they simply don't know about you. You can toss grenades and until they actually see them, they do not run away. You can move very fast and they will have much worse aim, because they have artificial latency. I can confess that I was very inspired by FEAR AI, because it looks excellent and it's very hard too, until you find the way how to trick them. That's what I call "gameplay". I really hate the games, where you run like Rambo into room crowded with enemies and you knock them down by one burst of machinegun.
Anyway I must agree that we underestimated setting for Easy mode. Problem is that our testers played AP even on very hard mode and they complained that it' too short and easy."
Tja, lieber Filip. Wenn man als Tester das tschechische Gegenstück der GSG 9 einlädt, dann kann man so ein Feedback schon mal bekommen. Für Leute hingegen, deren Beruf nicht darin besteht, in der Realität Menschen im Rahmen eines Überfallkommandos das Lebenslicht auszublasen, ist
Alpha Prime nichts weniger als der K2 der Single Player Shooter. 10 Level. Jeweils ca. 1 Stunde Spielzeit. Ab Stunde 2,5 rücken die obligatorischen Special Forces in der Mine ein, um die durchgeknallten Minenarbeiter und jeden anderen zu töten und die Hubbardium-Quelle zu sichern. Bereits unser erstes Aufeinandertreffen mit den Brüdern treibt einem den Schweiß auf die Stirn. Drei Kerle, die sich gegenseitig Deckung geben, die sich nach zwei bis drei Treffern zurückziehen, um wenig später aktiv anzugreifen. Einer stürmt in den Raum, zieht unser Feuer auf sich – und der nachfolgende Kollege macht uns platt.
Hello F9, my old friend! Einen Raum weiter warten dann hinter Kisten und zusätzlich auf einer zweiten Ebene gleich mal fünf von den Jungs.
Der wirklich einzige Trost ist, dass die AI in
Alpha Prime nicht mit Granaten schmeißt, sondern dieses Privileg einzig und allein uns vorbehalten bleibt. Oh, die unglaubliche Freude wenn es gelingt, zwei von den Gegnern in einem unvorbereiteten Moment mit einer Granate auszuschalten! Ansonsten treffen die anderen millimetergenau. Ihre Panzerung schluckt selbst bei Volltreffern ein halbes MG-Magazin oder drei Schrotpatronen. Auch Kopftreffer aus dem Sniper-Gewehr sind nicht zuverlässig mit einem Schuss tödlich. Die anderen wechseln permanent ihre Position, arbeiten zusammen, gehen zum Gegenangriff über. Sie sind wie die gemeinen großen Brüder der Klonsoldaten aus
F.E.A.R.
Hinzu kommt, dass man in
Alpha Prime durchaus mit seiner Munition haushalten sollte. Das gilt umso mehr für die Hubbardium-Spritzen, die uns den Wechsel in die Bullet Time ermöglichen. Diese Spritzen sind im Level recht gut versteckt und insgesamt selten. Es gibt mehrere Level, in denen gar keine von ihnen zu finden ist. Im Gegensatz zur gängigen Shooter-Praxis füllt sich unser Zeitlupen-Kontingent auch nicht von alleine wieder nach oder wächst durch Aktionen von uns an. Nein, wir brauchen diese Spritzen dafür. Dadurch wird die Bullet Time in
Alpha Prime zu einem eher selten einsetzbaren, allerletzten Hilfsmittel, wenn wirklich gar nix mehr geht. Es gibt ein paar Stellen des Spiels, die ohne Zeitlupe meiner Meinung nach nicht zu meistern sind. Daher sollte man sich die Spritzen peinlich genau aufbewahren und immer abwägen, ob man nicht doch auch ohne sie weiter kommt. Außerdem macht uns auch die Zeitlupe nicht zum Übermenschen. Die AI trifft trotzdem noch sehr gut, so dass der Vorteil nur ein sehr leichter ist.
Okay.
Alpha Prime ist also einfach unfair. Nein. Das kann man bis auf die oben geschilderte Stelle – die wahrscheinlich mit etwas mehr Planung und einem geschickteren Balancieren mit den zwei sich wechselseitig überschreibenden Quicksave-Slots –
Hello F5, my old friend! – auch ohne Cheat zu meistern ist – nicht sagen. Ich muss mich da was meine Andeutungen im
Hellforces - Text angeht etwas revidieren. Es ist nur sagenhaft schwer. Eine echte, knüppelharte Herausforderung. Ist es zu stark, bist du zu schwach.
Ihr ahnt es schon: ich finde das gut. Ich respektiere die Konsequenz, mit der man sich hier dafür entschieden hat, dem Spieler alles abzufordern.
Alpha Prime ist auch sonst wirklich kein schlechtes Spiel. Vorzeigbare Engine, gutes Produktionsniveau, annehmbare SciFi-Story, eine ganz nette Hacking-Funktion, die an einigen Stellen im Kampf hilfreich sein kann. Wirklich solides Handwerk. Zu kritisieren gäbe es in erster Linie eigentlich nur den im Vergleich zum restlichen Spiel lächerlich einfachen Bosskampf am Ende und die mitunter etwas unglückliche Verteilung der Med-Stationen im Level.
Nein, Trash ist das hier wirklich nicht, auch Black Element Software bleibt da dem tschechischen Bemühen um gutes Niveau treu. Aber was
Alpha Prime zu einem guten, erwähnens- und spielenswerten Shooter macht, der durchaus eine Stellung im Genrekanon für sich beanspruchen kann – das ist die AI. Diese unglaublich harte, gnadenlose und hundsgemeine AI.
Und ich habe sie alle geplättet. Denn ich bin einfach noch viel hundsgemeiner. HA!