Ah - so hab' ich mir das erhofft!
Guter Beitrag, Iseuz. Mir ist klar, dass so etwas wie Diskussionskultur im Netz aufgrund des anonymen, unverbindlichen Wesens der Teilnahme schwierig zu finden und noch schwieriger aufrechtzuerhalten ist. Gerade auf Spiele-Sites tummelt sich zu jedem Zeitpunkt eine lautstarke Minderheit an oft minderjährigen, in ihrem Foren-Verhalten latent agressiven und obsessiven Postern mit niedriger Frustrationstoleranz, überbordendem Mitteilungsdrang und unterentwickelten argumentativen Fähigkeiten, die so manche nötige Auseinandersetzung (mit dem Medium, nicht untereinander

) im Keime zu ersticken droht. Ob wir hier (unter dem abschreckend intellektellen Titel 'Spielkultur') davon verschont bleiben werden sei mal genauso dahingestellt wie Deine teilweise sicherlich berechtigten Vorbehalte gegenüber dem Umstand, dass dies Forum hier ein Auswuchs der mitnichten der Kultur sondern in erster Linie dem Kommerz verschriebenen Spieleindustrie darstelle (hmmm... wobei ich darauf später wahrscheinlich doch noch mal zurückkommen muss).
Vielmehr einige Anmerkungen zu Deinen Äusserungen über das Verhältnis zwischen Spielern und ihren Kritikern:
Zu 1.:
Dass sich die Industrie von selber 'bessert', ist in der Tat kaum anzunehmen, zumindest nicht im Sinne der plötzlichen Entwicklung ethischer Grundsätze. Dennoch steht sie wie alle anderen Bereiche der Wirtschaft, in vieler Hinsicht stärker als einige andere, im permanenten Dialog (weniger verbal als vielmehr über den Markt und andere indirekte Formen der Kommunikation) mit der Spielerschaft als Kunden auf der einen Seite, den (alten) Medien und der (ebenso alten) Politik als selbsternannte moralische Instanzen andererseits. Dieses Wechselspiel mag absurde Auswüchse zeitigen und die Teilnahme der nicht direkt involvierten Teilnehmer Politik und Medien unnötig erscheinen, dient aber auf lange Sicht sowohl der Industrie als auch den Spielern durch eine sich (langsam) anbahnende Kulturdebatte, die gar nicht anders Enden kann als mit der Aufnahme des Computerspiel in den Kreis gesellschaftlich akzeptierter (was immer das heissen mag) und reflektierter Medien/Kulturformen. Als Resultat werden sich die Spiele ein immer breiteres Publikum (nie aber ein dem TV vergleichbares - dafür ist das Spiel zu aktiv) verschaffen, die Spieler hingegen ein breiteres, qualitativ (nicht nur technisch) gesteigertes Angebot an Games erhalten. Die Welt wird sich trotzdem weiter drehen.
Bis dann bleibt uns zu wünschen, dass diese 'vorrevolutionäre' Phase, in der sich das Medium derzeit befindet, möglichst viele fragwürdige, makabre, bizarre, absurde, vollkommen verrückte, experimentelle, von gängigen moralischen Vorstellungung und gutem Geschmack vollkommen freie Werke hervorbringt, um ob der drohenden Starrheit eines anerkannten Kulturelements eine möglichst diverse, inspirative Basis zu bilden, auf der künftige Generationen von Kultur-Spielen langfristig interessant und abwechslungsreich gedeihen können. Ich werden sie lieben, verfluchen oder einfach nicht spielen, aber ich werde dankbar sein, dass es sie gibt, diese Schmuddelspiele.
zu 2.:
Dass die denkbegabten Elemente (die Mehrheit, würde ich meinen) der Computerspieler über den Lärm von Erfurt-Schützen, Daddel-Soziopathen und dümmlichen Forenspammern hinweg kein Gehör finden, ist kaum jemandem anderen anzulasten als ihnen selbst. Gut, einige schreiben mittlerweile Bücher, aber wer liest die schon. Dem Volk das Spielen beizubringen wird kaum gelingen - meist scheitern solche Versuche schon im familiären Umfeld. Nicht-Spieler glauben, sie könnten das Medium durch kurzes Zuschauen ausreichend beurteilen und werden nur weiterspielen, wenn ihnen gefällt, was sie sehen. Was bleibt also? Warten, bis der Homo Ludens (Electronicus) seinen Vorgänger aus den Hebeln der Macht verdrängt hat? Das dauert noch mindestens 30 Jahre. Bis dann lässt sich der Teufel ganz ketzerisch am besten mit dem Beezlebub austreiben - mehr spielen, mehr Geld für Spiele ausgeben, die Spieleindustrie weiter wachsen und damit in die Aufmerksamkeit der Gesellschaft wachsen lassen. Ihr beitreten und innovative Spielkonzepte durchsetzen, die Nichtspielern die Augen öffnen könnten. Schliesslich den kulturellen Dialog mit provokativen, hintergründigen Werken dominieren, an denen kein (möglichst von Spielern zu durchsetzendes) Feuilleton mehr vorbeikommt. Ausverkauf? Grössenwahn? Gut möglich. Aber anders warten wir garantiert noch 30 Jahre auf die so ersehnte (warum eigentlich?) Anerkennung.
Aber eSportler sollten getunlichst weiter belächelt werden.
Zu 3.:
Die sozialisierenden Eigenschaften von MP-Spielen halte ich für allgemein überbewertet - die Gesprächskultur und Themenvielfalt in diesen Spielen ist in meiner Erfahrung erbärmlich, die Interaktion ganz allgemein durch ihre Anonymität und den Grad der Distanzierung problematisch. Der zusätzliche 'Spass', den Du ihnen attestierst, scheint mir arg eingeschränkt, zumindest in Hinblick auf jene anderen Spielelemente, auf die dafür tendenziell verzichtet werden muss - Storytelling, Komplexität, Reflektion. Das ganze Clanwesen stinkt zudem arg nach biederer Vereinsmeierei.
Viel mehr aber muss ich mich hier gegen Deine pauschale Disqualifikation von Solo-Spielen. Nach wie vor wird die meiste Zeit solo gespielt, und daran dürfte sich auch nichts ändern - der Mensch mag ein soziales Tier sein, braucht aber genauso seine Zeit für sich - man bedenke, wie viel Zeit man freiwillig täglich mit anderen Menschen kommuniziert und wie viel man für sich beansprucht. Wo das MP-Spiel den Skatabend ergänzen mag, konkurrenziert das Solospiel das Buch oder den Film. Beidem sind erfeuliche wie bedenkliche Eigenschaften inne, das eine über das andere zu stellen ergibt für mich keinerlei Sinn.
Die Gewaltdebatte ist an anderer Stelle bereits in vollem Gange (bzw. dreht sich dort wie immer im Kreis), so dass ich ihr an dieser Stelle nichts hinzufügen möchte - ihre Reduktion auf das Medium Computerspiel bietet sich sowieso nicht an.