Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

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R_eQuiEm
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von R_eQuiEm »

ColdFever hat geschrieben:
tope1983 hat geschrieben:Wieso kommt hier eigentlich immer wieder wer auf die Idee, dass ein Videospiel rein Unterhaltungszwecken zu dienen hat? Literatur, Musik und Film sind auch keine reinen Spaßprodukte..
mr archer hat geschrieben:Die Action muss SPASS machen. Sie muss mich UNTERHALTEN. Ich kann mich von den Figuren eines Films, eines Buchs, eines Theaterstück DISTANZIEREN, wenn mir ihr Tun moralisch widerspricht. Das kann ich in einem Videospiel bei meiner Spielfigur nicht. Ich sei denn, ich mache das Spiel aus.
Genau das ist der zentrale Punkt, der Videospiele von anderen Medien unterscheidet. Dadurch, dass der Videospieler für den Erfolg aktiv in das Geschehen eingreifen muss, muss er sich für den Erfolg mit der Rolle identifizieren, zumindest auf der untersten "mechanischen" Ausführungsebene. Literatur, Musik, Film und die bildende Kunst können dagegen auch ohne Identifikation mit dem Werk konsumiert werden.

In einem Kriminalfilm oder Kriegsfilm (oder Antikriegsfilm) muss der Zuschauer also keine Leute erschießen, um den Fortgang der Geschichte zu verfolgen. Der Videospieler ist dazu jedoch in der Regel gezwungen. Solange die Spieler diese aktive Rolle genießen können, und von diesem Genuss hängt der finanzielle Erfolg eines Titels ab, solange funktioniert das Videospiel. In dem Moment, wo das Videospiel jedoch die Gewalt "authentisch" umsetzen würde und sich der Videospieler überwinden oder ekeln müsste, um die Geschichte weiterzuspielen, würde der Genuss enden - und damit wohl auch der finanzielle Erfolg einesTitels. Und das ist wahrscheinlich auch gut so.

btw: Auch Literatur, Musik, Film und die bildende Kunst dienen vorwiegend der Freude: Künstler empfinden bei der Erschaffung ihrer Werke in der Regel Freude und teilen diese Freude mit anderen Menschen, die für diese Freude bezahlen. Wer als Künstler ein anderes Erfolgsprinzip verfolgt, muss entweder ein Genie sein oder selbstlose Förderer haben, um zu überleben.
Im Grunde genommen ist das wogegen ihr euch wehrt und was ihr als nicht nötig empfindet ebenfalls dem Medium Film und Buch widerfahren. Mit genau denselben Argumenten! Exzessive Gewalt oder Sexdarstellung wurden beim Buch ebenso verpönt und als unangebracht erachtet wie auch später beim Film. Bei Letzteren war damals die Argumentation des Gesehenen, Inszenierten. Die Identifikation war hierbei viel intensiver. Nun evolutioniert sich das Medium Videospiel (was ihr sowieso nicht aufhalten könnt, ebenso nicht wie die Leute damals bei Buch und Film) genauso und es kommt wieder die selbe Laie. Ich möchte ja nicht einmal bestreiten das gewisse Argumentationspunkte durchaus verständlich sind, ganz im Gegenteil. Jedoch ist eure Haltung letztenendes konservativ.

Ein Videospiel SOLL eurer Meinung also Spaß machen. Sollte das ein Buch oder ein Film demnach nicht auch? Bzw. was sollte der Grund sein warum sich nicht auch dieses Medium weiterentwickelt? Der Umstand des Gameplays?
Ich muss ColdFever widersprechen in dem Punkt das Buch und Film keine Identifikationsfigur braucht. Das komplette Gegenteil ist der Fall. In der Nerratologie ist eine Identifikationsfigur der Dreh & Angelpunkt für die Übermittlung einer Geschichte und deren Emotionen. Es ist das nötige Bindeglied, sei es nun Buch, Film oder ein Videospiel. Bei Videospielen kommt nur der Umstand des Gameplays noch hinzu (meist kontrolliert). Nun kam das Argument der Mechanik. Beim Medium Buch war der Umstand zuviel alleine aufgrund des geschriebenen Wortes sich einen beispielsweise Gewaltakt vorzustellen. Beim Medium Film war es der Umstand diesen Gewaltakt nun auch mitansehen zu müssen. Beide Umstände waren, wie schon erwähnt, anfangs verpönt und als zu extrem erachtet. Heute spricht man von Kunst und kulturellen Erbe. Der Umstand eines Knopfdruckes macht das Ganze jetzt jedoch nicht verwerflicher. Intensiver ja, aber nicht verwerflicher! Warum gedenkt ihr mit derselben Argumentation auch hier wieder Stagnation zu fordern? Der Wunsch nach erzählerischer Qualtiät ist da, aber kastriert ihn mit derartigen Einstellungen. Wie soll da ein Fortschritt überhaupt entstehen können?
Seitenlang wurde hier mit extremen Beispielen wie Kindervergewaltigung, Folterung und sehr extremen Gewaltakten um sich geschmissen. Mr. Archer möchte die 120 Tage von Sodom nicht spielen. Aber warum willst du es lesen oder sehen? Macht der Knopfdruck das Ganze jetzt zu einem aboluten No-Go?

Wo wären wir heute wenn damals auch eine derartige Entwicklung bei Buch und Film aufgehalten wäre.
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NotSo_Sunny
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von NotSo_Sunny »

Sehe das ähnlich wie R_eQuiEm. Natürlich ist die Interaktivität ein Faktor, der Videospielen erst einmal eine gewisse Sonderstellung gegenüber Buch und Film einbringt und der die Behandlung von Gewalt noch delikater macht. Aber zu fordern, dass es niemand versuchen sollte, nur weil man sich selbst keinen angemessenen Weg vorstellen kann - was ist das für eine Eintstellung?
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Giant Hogweed
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von Giant Hogweed »

Respekt an Jörg Luibl. Brillianter Kommentar!

Gelungen auch das Beispiel "No Country for Old Men" im Schwestermedium Spielfilm. Wie "harmlos" ist zunächst mal auf dem Papier die Strangulierungsszene angesichts der Flut von expliziter Gewalt in einer Filmlandschaft, in der das explizite Darstellen des Köpfens längst normal wie eine Kneipenschlägerei ist. Aber wie sehr geht besagte Szene unter die Haut... ich erinnere mich noch an die bedrückte Mucksmäuschenstille, die danach im Kino herrschte.
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Boesor
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von Boesor »

R_eQuiEm hat geschrieben:
Ein Videospiel SOLL eurer Meinung also Spaß machen. Sollte das ein Buch oder ein Film demnach nicht auch?
Kommt auf die Nutzung an.
ich nutze Videospiele mit einer anderen Motivation als einen Film. Und Bücher werden wiederrum mit anderen Motiven gelesen.
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R_eQuiEm
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von R_eQuiEm »

Boesor hat geschrieben:
R_eQuiEm hat geschrieben:
Ein Videospiel SOLL eurer Meinung also Spaß machen. Sollte das ein Buch oder ein Film demnach nicht auch?
Kommt auf die Nutzung an.
ich nutze Videospiele mit einer anderen Motivation als einen Film. Und Bücher werden wiederrum mit anderen Motiven gelesen.
Man darf jedoch keinem die Motivation vorschreiben. Wer bin ich, du oder sonstwer um anderen Leute deren Ambitionen vorzuschreiben. Ich kann nicht den Entwicklungsstillstand eines ganzen Mediums fordern nur weil ich gerade zufrieden mit der derzeitigen "Oberflächlichkeit" bin, bzw. dem jetztigen Status.
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von AlastorD »

R_eQuiEm hat geschrieben:[
Ein Videospiel SOLL eurer Meinung also Spaß machen. Sollte das ein Buch oder ein Film demnach nicht auch? Bzw. was sollte der Grund sein warum sich nicht auch dieses Medium weiterentwickelt? Der Umstand des Gameplays?
Der Umstand des Gameplays ist im Grunde nur schmückendes Beiwerk, mehr wird fürs Spiel nicht gebraucht. Ich sehe in mehr "Drama" bei Videospielen genausowenig eine weiterentwicklung wie beim aufkleben von Fotos hungernder Kinder und Kriegsopfern auf Kegel beim Kegeln
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Boesor
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von Boesor »

R_eQuiEm hat geschrieben:
Boesor hat geschrieben:
R_eQuiEm hat geschrieben:
Ein Videospiel SOLL eurer Meinung also Spaß machen. Sollte das ein Buch oder ein Film demnach nicht auch?
Kommt auf die Nutzung an.
ich nutze Videospiele mit einer anderen Motivation als einen Film. Und Bücher werden wiederrum mit anderen Motiven gelesen.
Man darf jedoch keinem die Motivation vorschreiben. Wer bin ich, du oder sonstwer um anderen Leute deren Ambitionen vorzuschreiben. Ich kann nicht den Entwicklungsstillstand eines ganzen Mediums fordern nur weil ich gerade zufrieden mit der derzeitigen "Oberflächlichkeit" bin, bzw. dem jetztigen Status.
Mache ich ja auch nicht, macht hier eigentlich kaum einer (hab jetzt nicht den ganzen thread vor Augen).
Aber du hast ja nach unserer Meinung gefragt und für mich (!) muss ein Videospiel nunmal Spaß machen. Wie das andere halten ist was ganz anderes.
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R_eQuiEm
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von R_eQuiEm »

@Boesor
Du hast übersehen das mein Post hauptsächlich Mr_Archer und ColdFever galt. Und wenn du dir deren Posts durchliest, dann wirst du lesen das sie es tun.
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Boesor
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von Boesor »

R_eQuiEm hat geschrieben:@Boesor
Du hast übersehen das mein Post hauptsächlich Mr_Archer und ColdFever galt. Und wenn du dir deren Posts durchliest, dann wirst du lesen das sie es tun.
Mal schauen was die dazu sagen.
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ColdFever
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von ColdFever »

R_eQuiEm hat geschrieben:Ich muss ColdFever widersprechen in dem Punkt das Buch und Film keine Identifikationsfigur braucht. Das komplette Gegenteil ist der Fall. In der Nerratologie ist eine Identifikationsfigur der Dreh & Angelpunkt für die Übermittlung einer Geschichte und deren Emotionen.
Identifikationsfiguren können hilfreich sein, aber sie sind nicht notwendig. In Büchern und Filmen über z.B. Tyrannen wie Hitler oder über z.B. Kriege wie dem Vietnamkrieg lässt sich die Handlung auch distanziert ohne Identifikationsfigur verfolgen. Das Leiden der Bevölkerung reicht hier schon völlig aus, um Emotionen zu empfinden. Auch kann man als Mann z.B. Bücher über die Libido der Frau und die sich daraus ergebenden Verwicklungen lesen, ohne sich damit identifizieren zu müssen. Bei einem Spiel dagegen ist die Identifkation elementare Voraussetzung fürs Spiel, zumindest auf der mechanischen Ebene.
R_eQuiEm hat geschrieben:Wo wären wir heute wenn damals auch eine derartige Entwicklung bei Buch und Film aufgehalten wäre.
Wie gesagt, man kann Bücher und Filme problemlos mit Distanz lesen, aber bei Videospielen ist dieses nicht möglich - und auch gar nicht sinnvoll, denn gerade aus der Identifikation zieht das Spiel seine Magie, wie wir alle wissen. Wenn Jörg fordert, "Die Bildregie in Spielen muss viel öfter mit diesen Konsequenzen schockieren, damit das Reflektieren beginnen kann... mit der Kamera so draufhalten und die Brutalität in ihrer realistischen Langsamkeit einfangen", dann bedeutet dies in letzter Konseqzenz das ENDE DES SPIELES. Denn ein Spiel wird per definitionem zum Vergnügen, zur Entspannung und zur Freude ausgeführt. Dagegen hört ein Spiel und der Spaß auf, wenn Gewalt authentisch wird, sei es durch die Handlung oder die Gewaltdarstellung.
johndoe702031
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von johndoe702031 »

tope1983 hat geschrieben:Der wohl einzige Lichtblick besteht darin, dass jegliche Effekthascherei Ermüdungserscheinungen zeigt, dass irgendwann der Gewöhnungseffekt eintritt und man auf noch detailliertere Explosionsszenarien und Actionfigur-geformte Soldaten in Mega-Rüstungen, die mit Gebrüll und Kettensägen wild durch die Polygonlandschaften schnetzeln nur noch mit einem Gähnen antworten kann.
Der Lichtblick betsteht darin, dass Spieler auch älter bzw. erfahrener werden. Irgendwann wollen die meisten einfach mehr als effektreiche M.Bay-Action vom Fließband. Viele Mainstream Ballertitel haben ja ausschließlich die jüngeren Kids als Zielgruppe, die nunmal (verständlicherweise!) auf solch pubertären Schnetzelkram mit Gore voll abfahren. Und diese kaufstarke Zielgruppe wächst ja quasi ständig nach :) . Ich glaube, daran wird sich grundsätzlich nichts ändern, vielleicht ändert sich sehr zu meiner Freude irgendwann mal die beschissene Ausrichtung auf Military, aber nicht auf generell flaches Krachbumm. Ist auch nicht dramatisch, ich habe da nix gegen. Nö, aber Spieler werden älter, wollen Abwechslung, neue Märkte entstehen, Indies boomen usw.: Ich bin da mittlerweile eigentlich ganz optimistisch, was die Perspektiven für reifere Spiele angeht. Die Vielfalt ist ja jetzt schon größer, als sie zu jeder anderen Zeit war. Das darf man bei allen Beschwerden über Gewaltspiralen, Brutalisierung, Verflachung moderner Spiele ja nicht vergessen. Bitte den Spielemarkt hier nicht zu einseitig betrachten. Und diese vielfältigen Wege, die sich hoffentlich noch weiter ausbreiten, sind gleichzeitig auch die perfekte Antwort auf alle diejenigen, die meinen allgemein festlegen zu müssen, was genau die Spielewelt "braucht" oder was Spiele "sollen" und was nicht.
tope1983 hat geschrieben:..."kreativere Geschichten"...
Absolut dafür. Da fällt mir ja immer wieder Psychonauts ein, gerade auch was die abgefahrene Levelgestaltung angeht. Die Level sind hier die unterschiedlichen Psychen diverser Irrenanstalt-Insassen, in denen man sich dann räumlich bewegt. Hammergeil. Für mich bisher ungeschlagen in Sachen kreative Gestaltung und Ideenreichtum. Wer's bisher noch nicht gezockt hat: Bitte bitte sofort kaufen und gutfinden!! Los. Jetzt. :D .

@Cold Fever: Du hast ja nicht unrecht, genau wie Frau Archer. Und ich bin ein großer Fan davon, Spiel, Film und Buch gerade wegen der unterschiedlichen Rezipientenrolle nicht in einem Topf zu verrühren. Das geht aber alles meilenweit an dem vorbei, was im Kommentar gefordert wird. Natürlich hätte ein Spiel null Sinn (oder eben nur für Sadisten und extreme Misanthropen), das dich unentwegt von einem ultrabrutalen Martyrium ins nächste schickt. Das wäre widersinnig und würde dem Sinn des Spielens entgegenlaufen. Will aber auch keiner. Wenn aber nur an sehr seltenen, ausgesucheten Stellen die Gewalt authentischer und reflektierter behandelt wird, also insgesamt sogar eine Reduktion stattfindet, dann ist das auch problemlos in einem Spiel machbar. Mag persönlich nicht dein Ding sein, aber ist imho absolut machbar. Nicht zu vergessen, dass Gewalt dir als Spielcharakter auch (passiv) angetan werden kann oder Spielwelt von solcher Gewalt geprägt ist. Sehe überhaupt nicht, warum das kategorisch nicht gehen sollte. Von Fall zu Fall, wohlüberlegt und in homöopathischen Dosen. Ihr müsst mal nicht so dermaßen übertreiben (von wegen 120 Tage von Sodom als Spiel :ugly: ), mensch mensch :D .
Zuletzt geändert von johndoe702031 am 18.06.2012 19:11, insgesamt 1-mal geändert.
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R_eQuiEm
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von R_eQuiEm »

ColdFever hat geschrieben:
R_eQuiEm hat geschrieben:Ich muss ColdFever widersprechen in dem Punkt das Buch und Film keine Identifikationsfigur braucht. Das komplette Gegenteil ist der Fall. In der Nerratologie ist eine Identifikationsfigur der Dreh & Angelpunkt für die Übermittlung einer Geschichte und deren Emotionen.
Identifikationsfiguren können hilfreich sein, aber sie sind nicht notwendig. In Büchern und Filmen über z.B. Tyrannen wie Hitler oder über z.B. Kriege wie dem Vietnamkrieg lässt sich die Handlung auch distanziert ohne Identifikationsfigur verfolgen. Das Leiden der Bevölkerung reicht hier schon völlig aus, um Emotionen zu empfinden. Auch kann man als Mann z.B. Bücher über die Libido der Frau und die sich daraus ergebenden Verwicklungen lesen, ohne sich damit identifizieren zu müssen. Bei einem Spiel dagegen ist die Identifkation elementare Voraussetzung fürs Spiel, zumindest auf der mechanischen Ebene.
Das gilt vielleicht hauptsächlich für Dokus. Um eine emotionale Geschichte zu erzählen verlangt es eine Identifikationsfigur. Sei es wie gesagt Buch, Film oder Spiel. Alle drei Medien bedienen sich der Narratologie.
Und warum kann man sich bei einem Videospiel nicht distanzieren? Das funktioniert genauso wie bei Film und Buch. Der Umstand sich von derartigen Sachen nicht distanzieren zu können hat völlig andere Ursachen, aber bestimmt nicht das Gameplay. Ich fühle bei einem Buch/Film ebenso mit wie bei einem Videospiel. Die Mechanik macht das ganze nur noch intensiver. Aber zu behaupten das das Gameplay uns die nötige Distanz verwehrt ist einfach falsch. Da hätten wir alle heute schon immense Probleme.
ColdFever hat geschrieben:
R_eQuiEm hat geschrieben:Wo wären wir heute wenn damals auch eine derartige Entwicklung bei Buch und Film aufgehalten wäre.
Wie gesagt, man kann Bücher und Filme problemlos mit Distanz lesen, aber bei Videospielen ist dieses nicht möglich - und auch gar nicht sinnvoll, denn gerade aus der Identifikation zieht das Spiel seine Magie, wie wir alle wissen. Wenn Jörg fordert, "Die Bildregie in Spielen muss viel öfter mit diesen Konsequenzen schockieren, damit das Reflektieren beginnen kann... mit der Kamera so draufhalten und die Brutalität in ihrer realistischen Langsamkeit einfangen", dann bedeutet dies in letzter Konseqzenz das ENDE DES SPIELES. Denn ein Spiel wird per definitionem zum Vergnügen, zur Entspannung und zur Freude ausgeführt. Dagegen hört ein Spiel und der Spaß auf, wenn Gewalt authentisch wird, sei es durch die Handlung oder die Gewaltdarstellung.
Es ist eine Grundsatzdiskussion. Ein Film soll ebenfalls Unterhalten. Das Medium Film unterlief dieselbe Evolution. Zuerst als Unterhaltung, dann als Massenmedium und schließlich erlangte es den Status der Kunstform. Daher auch meine Frage: Warum sollte man Videospiele eine derartige Evolution verwehren?
Da du mit Wikipedia konterst, kontere ich mal mit ebenso zurück:
Auf der anderen Seite mag auch der Name Spiel verantwortlich sein, der abwertend wirkt, weil er eine Ähnlichkeit zu einem Spielzeug mit bloßem Unterhaltungswert ohne Inhaltsvermittlung vermuten lässt. Es gibt auch Argumente für die Kunstform Computerspiel: Da das Spielen am PC oder an der Konsole interaktiv ist, macht jeder seine eigene Kunst, indem er seine eigene Spielweise anwendet.
Videospiele sind nunmal nicht einfach nur mehr noch Spiele. Dazu wurde das Gebiet einfach zu komplex. Als sich das ganze bei Pong oder Pac-Man noch auf einfache mechanische Schritte bezog, ohne eine Geschichtenerzählung war eine derartige Argumentation noch angebracht. Heutzutage hat sich das Medium schon in eine ganz andere Richtung weiterentwickelt. Im Grunde ist das Videospiel ein Film, mit denselben Regeln. Nur macht der Faktor Interaktivität den Unterschied aus, was aber keinesfalls bedeutet das man deswegen diesem Medium eine Weiterentwicklung verweigert!
Seelenflug1279
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von Seelenflug1279 »

Identifikationsfiguren können hilfreich sein, aber sie sind nicht notwendig. In Büchern und Filmen über z.B. Tyrannen wie Hitler oder über z.B. Kriege wie dem Vietnamkrieg lässt sich die Handlung auch distanziert ohne Identifikationsfigur verfolgen.
Ganz fürchterlicher Unsinn, den du hier niederschreibst.

Jeder Film funktioniert dann gut, wenn du einen Protagonisten hat, durch dessen Augen du das Leid erlebst. Empfindest du tiefes Mitleid, wenn du in den Nachrichten die Anschlagopfer siehst? Musst du dann jedes Mal weinen. Verkrampft sich dann alles in dir? Eben.

Das empfindest du erst, wenn du eine Beziehung zu dem Opfer und demjenigen herstellen kannst, der jemanden verloren hat. Deswegen ist die Identifikationsfigur das wichtigste, damit du der Handlung als Zuschauer folgen möchtest.

Davon abgesehen entfernen wir uns immer weiter von dem Grundthema, nämlich der Tatsache, dass diee Kolumne geisteskrank anmutet und von einem Egomanen geschrieben wurde, der keine Kolumnen mehr im Netz veröffentlichen sollte.
Vandyre
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von Vandyre »

ColdFever hat geschrieben: Wie gesagt, man kann Bücher und Filme problemlos mit Distanz lesen, aber bei Videospielen ist dieses nicht möglich - und auch gar nicht sinnvoll, denn gerade aus der Identifikation zieht das Spiel seine Magie, wie wir alle wissen. Wenn Jörg fordert, "Die Bildregie in Spielen muss viel öfter mit diesen Konsequenzen schockieren, damit das Reflektieren beginnen kann... mit der Kamera so draufhalten und die Brutalität in ihrer realistischen Langsamkeit einfangen", dann bedeutet dies in letzter Konseqzenz das ENDE DES SPIELES. Denn ein Spiel wird per definitionem zum Vergnügen, zur Entspannung und zur Freude ausgeführt. Dagegen hört ein Spiel und der Spaß auf, wenn Gewalt authentisch wird, sei es durch die Handlung oder die Gewaltdarstellung.
Dieser Absatz ist schlichtweg falsch, und zwar in zweierlei Hinsicht.
Zum einen was die Distanz angeht. Einige Genres bieten sogar gar keine Möglichkeit der Identifikation. Da wären z. B. Rennspiele oder auch Strategiespiele. Und auch bei anderen Spielen muss ich mich nicht mit dem Alter Ego oder anderen Spielfiguren identifizieren. Oder identifizierst du dich etwa mit Lara Croft, Super Mario? Teilweise soll die Figur den Spieler selbst darstellen. Mit wem willst du dich denn da identifizieren?

Hast du dir die den Artikel auf Wikipedia eigentlich mal durchgelesen? Dort steht, dass es zum Vergnügen, zur Entspannung oder Freude ausgeführt werden kann, aber dem nicht so sein muss. Wenn man sich z. B. mal das Zitat von Huizinga anschaut, dann steht dort, dass es eine Begleiterscheinung sein kann. Der Zweck des Spielens liegt aber im Spielen selbst.
Auch bei Caillois steht nichts von reinem Vergnügen. Beim Wettkampf (Agon) steht Spaß haben sicher nicht an erster Stelle. Und der Zufall (Agea) kann auch ganz schön frustrieren.

Bei deinem letzten Satz würde mich mal interessieren, wie du "authentische Gewalt" definieren würdest. Nach meinem Befinden sind wir dort schon seit Jahrzehnten.
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NotSo_Sunny
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Re: Kommentar: Wenn schon Gewalt, dann bitte richtig!

Beitrag von NotSo_Sunny »

ColdFever hat geschrieben: Denn ein Spiel wird per definitionem zum Vergnügen, zur Entspannung und zur Freude ausgeführt. Dagegen hört ein Spiel und der Spaß auf, wenn Gewalt authentisch wird, sei es durch die Handlung oder die Gewaltdarstellung.
Imo nicht zwangsläufig. Ich kann auch bei NoCountryForOldMan entspannen, weil es mir eine Freude bereitet, einen Film mit originellen Figuren/Handlung zu verfolgen, während ich vergnüglich das schauspielerische Können von Josh Brolin und dem Rest des Casts bewundere. Das sind alles Faktoren, die dann trotz oder grade im Zusammenspiel mit der authentischen Gewalt auf der Metaebene für ein großes Filmvergnügen sorgen.
Bei Videospielen funktioniert das für mich auch nicht viel anders. Nachdem ich in MGS3 TheBoss erschoss oder in CoD4 meine Kemaraden verrecken sah, hatte ich auch ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend, was mich aber auch gleichzeitig wieder begeistert, da ich verblüfft war, wie sehr es die Entwickler geschafft hatten, mich in ihre Welt hineinzuziehen, was eben auch dieses "Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben" bestärkte, über das Huizinga Spiel u.a. definiert. Noch authentischere Gewalt hätten diese Szenen für mich in negativen wie aber auch im positiven Sinne nur noch verstärkt.
Ich würde dir also anraten, deine Definition von Spaß bzw. deine Kriterien um Spaß zu empfinden, nicht auf allles und jeden zu projizieren und darüber allgemeingültige Aussagen zu fällen, wo der Spaß beginnt und wo er aufhört.