Ein kleines Vorwort (Schade, dass soetwas nötig scheint.): Ich bin kein Gothic-Fanboy. Ich kenne die ersten beiden Teile nichteinmal. Ich bin auch kein Firmenvertreter. Desweiteren mag ich mich jetzt erst angemeldet haben, verfolge aber das Forum hier schon seit langer Zeit (ja, auch schon seit der Zeit vor Gothic 3), sah bisher nur keinen Anlaß mich zu Wort zu melden. Was im Folgenden zu lesen ist, sind meine persönlichen Eindrücke von Gothic 3, an das ich, so bilde ich es mir zumindest ein, unvoreingenommen herangegangen bin. Einfach auf der Suche nach einem Rollenspiel, welches mir gefällt. Genauso bin ich im Übrigen auch an Oblivion herangegangen. Dass es im Folgenden nicht sonderlich gut abschneidet liegt wieder einmal an meinen persönlichen Eindrücken und Vorlieben. Warum schreibe ich hier überhaupt? Weil ich denke, dass vielleicht einige durch die Diskussion verunsichert sind und nicht die Möglichkeit haben sich einen eigenen Eindruck vom neusten Gothicsproß zu verschaffen. Da die Meinungen derart weit auseinander gehen und offensichtlich vom persönlichen Geschmack abhängig sind, schreibe ich einfach meine eigenen Eindrücke, um jenen die diese nachvollziehen können, die Entscheidung ob oder ob nicht etwas zu erleichtern. Und ich außerdem ein sehr diskussionsfreudiger Mensch bin, was womöglich der Hauptgrund ist.
Nachdem ich diesen thread seit dem Erscheinen von Gothic 3 verfolge, kann ich nun nicht mehr an mich halten, um auch meinen (sicherlich überflüssigen) Senf dazu zu geben.
Ich habe es mir trotz der schlechten Wertung hier bei 4players zugelegt. Natürlich war ich auch skeptisch und habe deshalb vorerst zur Leihversion aus der Videothek gegriffen, um das Ganze einer persönlichen Durchsicht zu unterziehen.
Und mein erster Eindruck war: Wow! (Zugeben, als ich das Menü im Retrolook der Neunziger sah war mein erster Eindrück eher: "Urghs!", aber wen interessieren schon Menüs. :wink: )
Ich bin dem Rat auf der offiziellen G3 Seite gefolgt und habe vor der Installation fleißig die Festplatte defragmentiert, RAM-Speicher freigeschaufelt, die neusten Treiber installiert usw. Dementsprechend mutig habe ich dann auch alle Einstellungen auf Maximum gestellt (Aufl. 1650X1080) nachdem ich zuvor den Patch installiert hatte. Natürlich hat es im Dorf ersteinmal ein wenig geruckelt, nicht spielhemmend aber dennoch spürbar. (Das liegt wohl am RAM, da ich "nur" einen GByte habe).
Dennoch war ich von der Grafik vom ersten Moment an begeistert. Ich habe bisher kaum ein Rollenspiel gesehen, in dem die einzelnen Elemente zusammengefügt ein so stimmiges Gesamtbild ergeben. (Wohlgemerkt, ich gehe von meinem persönlichen Empfinden und den mir gegeben Möglichkeiten aus. Dh. keine Grafikbugs und höchste Einstellungen.) Zudem habe ich das Gefühl, dass Myrtana lebt und atmet. Abegenutzte Holzschuppen, von Büschen umrankte Brunnen, von denen einzelne Steine herausragen, Vegetation, die endlich mal mit dem Boden verschmilzt (und nicht wie bei Oblivion wie mit UHU-Alleskleber draufgepappt aussieht), dazu sehr stimmig gewählte Farben, die gut zueinander passen. Die Palette ist hier zwar recht klein gewählt, durch etliche Nuancen allerdings schafft sie eine Vielfalt, die sich im Ganzen derart zusammenfügt, dass keine unnatürlich wirkenden bzw. störenden Kontraste entstehen.
An dieser Stelle möchte ich in die Oblivion vs. Gothic - Grafik - Diskussion einhaken.
Oblivions Grafik ist sicherlich auf dem Papier und von der technischen Seite her die überragendere. Allerdings bin ich von der letztlichen Umsetzung im Spiel alles andere als begeistert. Die Vegetation, wie oben bereits angedeutet, wirkt für mich wie auf einen Teppich gestellt. Die Grafiker haben meiner Meinung nach vergessen durch Tönungen und Schattierungen die Bäumen usw. mit dem Boden zu "verbinden".
Das nächste sind die Städte. Das ist mir alles viel zu glattgebügelt und erinnert stellenweise eher an eine Kulisse im Disneyland als an eine "echte" tatsächlich bewohnte Stadt.
Das Reich als solches. Wie kam man auf die Idee, diese "Kesselwelt" zu entwerfen? Ich habe das Gefühl, die Hauptstadt sei omnipräsent. Und das nervt gewaltig, weil einem die Illusion genommen wird, in einem gigantischen Reich unterwegs zu sein. Würde man von überall in Deutschland den Berliner Fernsehturm sehen, würde das nicht gerade für die Größe unseres Landes sprechen (oder aber für die Größe des Turmes

), das kann man nichtmal innerhalb der Stadt selbst von den meisten Stellen. Natürlich kann man es in Oblivion auch nicht, aber irgendwie sitzt dieser komische Turm mir ständig im Nacken. Doch was mich bei Oblivion am meisten verärgert, sind die Charaktermodelle und ihre in meinen Augen erbärmlichen Animationen. Man hat diese von allerlei bombastischen Lichteffekten erstrahlte Welt, in der es an jeder Ecke funkelt und blitzt und dann laufen da Figuren durch die Gegend, die an ein Musikvideo der Gruppe "Kraftwerk" erinnern ... gruselig kann ich da nur sagen. Und das etliche Zeit nach einem EQ2, welches in meinen Augen zeigt, wie schön sich Charaktermodelle bewegen können. Hinzukommen die matschigen Ferntexturen und das Rumgebastel in der Inidatei, damit die Engine ihre wahre Pracht entfaltet, sowie die ständigen Ladeunterbrechungen, die auf mich sehr spaßhemmend wirken. Andererseits sind die einzelnen Objekte für sich genommen, vom Schrank bis zum Apfel, vom Schwert bis zum Bogen allesamt sehr schön und kunstvoll gestaltet. Wie auch die einzelnen Blumen in ihren kräftigen Farben lebendig erstrahlen.
Gothic3 hingegen bewegt sich in vielerlei Hinsicht gerademal im guten Mittelfeld. Objekte wie Kelche und Teller usw. sind eher bodenständig als wirklich zierend. Die Charaktermodelle sind nett, hauen mich zumindest nicht vom Hocker, wie es zum Beispiel jene aus EQ2 tun. Leuchteffekte und Farben, alles etwas weniger scheinend als beim Vergleichspartner. Dazu kommt dieser etwas seltsam anmutende Lensflare-Effekt, den ich allerdings noch nicht in Höhlen bewundern durfte. Doch was Gothic richtig macht und darauf kommt es in meinen Augen an, die einzelnen Objekte für sich genommen mögen nicht viel hergeben, aber zusammengefügt ergeben sie eine Welt aus einem Guß. Bisher wirkte nichts wie per Baukastensystem zusammengesteckt, wie ich bei Oblivion so oft das Gefühl habe. Es wirkt, als sei alles per Hand "gemalt" wurden. Zudem ist die Landschaftsgestaltung wesentlich interessanter als bei Oblivion. Und der Unschärfeeffekt von Gothic macht das ganze für mich realistischer. Natürlich wirkt er stellenweise übertrieben, weil Häuser zu früh verschwimmen, gar verschwinden. Dennoch ist das um Klassen besser als jene grobpixligen Texturteppiche eines Oblivions. Doch am meisten gefällt mir das authentische Flair der Gothicwelt. Und da kommt es fast an das geniale, leider völlig unterschätzte "Planescape Torment" heran. Alles etwas schmutziger, etwas "rauchiger", dafür aber um so lebendiger. Die Hütten scheinen schon etlichen Jahren den Witterungen einer rauen Welt ausgesetzt zu sein und wurden nicht erst letztes Jahr im Grafikstudio "gezimmer". Und genau dafür bekommt Gothic von mir den "Daumen nach oben" und Oblivion ein "Netter Versuch, beim nächsten Mal dann".
Soviel zur Grafik. Einigen wird dieser Vergleich sicher sauer aufstoßen, allerdings wüßte ich kein schlüssiges Argument, welches ihn mir verbietet.
Das Kampfsystem ist sicherlich nicht die Wucht. Ich kann mich gut damit arrangieren, auch wenn ich persönlich eher die taktischen Varianten eines NWN oder KOTOR bevorzuge. Was wirklich stört ist der Umstand, dass einmal ins Hintertreffen geraten einem kaum die Möglichkeit zum Kontern gegeben wird. Habe ich von Anfang an die Oberhand, siege ich, hat sie mein Gegner siegt er. Es gibt kaum Möglichkeiten das Blatt zu wenden. Hat einen die Sau, dann hat sie einen. Allerdings kann man dem mit etwas Geduld Abhilfe verschaffen. Gegen Wildsäue habe ich gute Erfahrungen mit langen Waffen, wie Speeren und Sensen gemacht. Diese sind zwar langsam, halten die Rüsseltiere allerdings auf Distanz. Das ist nützlich. Oftmals ist allerdings Flucht die einzige Rettung. Aber ist das schlimm? Oder nicht eher realistisch? Das Kampfsystem ist sicher nicht die Wucht und auch nicht die Stärke des Spiels, aber man kann damit leben und stört sich nach einiger Eingewöhnungszeit nicht länger daran. So geht es mir.
Über die Hauptquest kann ich nach ca. 15 Spielstunden nicht viel sagen. Außer, dass sie bisher durchaus präsent im Hintergrund schlummert, man allerdings ersteinmal mit anderen Dingen beschäftigt ist. Und diese Unterhalten mich bisher sehr gut. Mal kleiner und belanglos, mal größer und bedeutender. Aber bisher immer zu meistern.
Die besprochenen KI-Mängel sind so eine Sache. Es gibt sie natürlich. Räuber, die aufgeben einen anzugreifen, weil sie den Weg zu einem nicht finden usw. Allerdings stören sie mich nicht wirklich, da ich es bisher noch nicht erlebt habe, wie jemand tatenlos rumstand bzw. mich ab einer bestimmten Entfernung nicht dann doch noch attackierte. Und auch hier nochmal der Vergleich zu Oblivion. Es gibt jene "dummen" Fehler sowohl in Gothic 3 als auch in Oblivion. Und nach meiner bisherigen Erfahrung sind sie in Gothic 3 nicht schlimmer als in Oblivion. Denn auch dort habe ich als Bogenschütze ganze Räuberlager ausgehoben, indem ich auf einem Fels stand, den jene partout nicht erklimmen konnten obwohl er nichteinmal zwei Meter hoch war. Und auch hier standen Mitstreiter dumm rum, während ich ein Meter neben ihnen böse vermöbelt wurde. So zu tun, als hätte Bethesda da nicht den gleichen Mist wie PB abgeliefert, ist meiner Ansicht nach nicht gerechtfertigt.
Dass die Dialoge in Gothic 3 so schlecht sind, kann ich nicht behaupten. Sie sind kein literarischer Meilenstein, aber immer noch besser als die gängiger Hollywoodstreifen. Und die Sprecher wissen zumindest mich zu überzeugen. Da waren Profis am Werk.
Sauer stößt mir bisher nur der Smalltalk-Einheitsbrei der Bewohner Myrtana's auf. Da sie sich wirklich immer und immer wieder über ein und dasselbe unterhalten. Ich sag nur "Problembewältigung"
"... aber manchmal ist es eben so und einige Probleme lösen sich von ganz allein."
Die Welt lädt zum Erkunden ein und entlockt mir des öfteren einige "Oho's" aber auch einige "Oh je's". Dann zum Beispiel, wenn ich zum Strand komme und das verkorkste Meer sehe.
Was mich ebenfalls vollends von Gothic 3 überzeugt, ist der phänomenale Soundtrack. Und da kann man von dem Spiel halten was man will, an der Msuik gibt es nichts zu meckern. Wie schon vorher euphorisch von mir bejubelt fügen sich auch die einzelnen Musikstücke so passend in die Welt, dass einfach ein stimmiges und überzeugendes Gesamtbild entsteht. Von orchestralen Schlachtmärschen hin zu lieblichen Gitarrenklängen mit sanfter Flötenbegleitung ist alles dabei. Und da hebt es sich für meine Ohren ganz besonders von den durchaus hochkaretigen Konkurrenten ab. Was natürlich reine Geschmackssache ist, das versteht sich von selbst.
Um nach dem ganzen Gelaber mal ein Fazit ziehen zu wollen. Ich kann die Kritikpunkter die im 4Players-Test zu Gothic3 und von den Postern hier im Forum angebracht wurden durchaus nachvollziehen. Auch die niedrige Werung unter den gegebenen Umständen mag gerechtfertigt sein. Und dennoch ist das mit dem Spielspaß immer so eine Sache. Es ist eben völlig subjektiv. Ein NfS ist für mich das Langweiligste überhaupt, da lerne ich lieber, ein anderer kann sich ein Leben ohne gar nicht mehr vorstellen. So nehm ich es auch mit Gothic 3. Objektiv betrachtet ist es sicherlich kein perfektes Spiel und bleibt hinter den Erwartungen vieler weit zurück. Für mich hingegen ist es soetwas wie eine kleine Offenbarung. Einfach wegen der Atmosphäre, die für mich ganz persönlich meinen PnP-Erfahrungen am nächsten kommt und dass es ist, woran ich ein Rollenspiel messe. Wie sehr mich seine Welt in ihren Bann zieht.
Tut mir leid, dass es so lang geworden ist. Ich schreibe halt gern.
MfG Jiva
PS: Das einzige was mich an Gothic 3 wirklich stört, im Übrigen auch an vielen anderen neuen Spielen: Dieser enorme Hardwarehunger. Ich habe einen guten PC und kann nicht meckern, dennoch finde ich es unverschämt, dass sich heutige Softwareschmieden immer auf die neuste Hardware verlassen, anstatts ihre Programme optimal zu tunen, so dass sie auch auf vergleichsweise schwächeren Rechnern in glänzender Pracht erstrahlen. Diese Tendenz spricht nicht gerade für den Ehrgeiz moderner Programmierer. Ach ja, die seeligen alten Zeiten, in der Programmierer noch "echte" Freaks waren ...
PPS: Noch eine Ergänzung zur Performance. Die Nachladehänger habe ich auch, sie dauern allerdings selten länger als eine halbe Sekunde. Auch geben sich einige Ruckler wieder, sobald man länger in einem Gebiet unterwegs ist. Alles in allem sind für mich keine diesbezüglichen Untschiede zu vergleichbaren Spielen erkennbar.