MisterMeister79 hat geschrieben:Nachdem ich es durchgespielt habe, möchte ich einige Eindrücke wiedergeben.
2. Wer die Spielmechanik durchschaut, kann aber schnell ernüchtert werden, denn die Welt ist letztlich noch immer Fassade. Gebäude sind nach wie vor nur zu betreten, wenn eine Mission das vorsieht oder wenn sie als Geschäfte auf der Karte markiert sind. Dadurch verringert sich, zumindest bei mir, der Anreiz, mir die Orte genauer anzusehen, massiv. Die Grafik ist gewissermaßen leer und inhaltslos. Zudem werden die (liebevoll gestalteten) Zufallsmissionen ohnehin als blaue Punkte auf dem Radar angezeigt, also gibt es auch hier keinen Anreiz, genauer hinzusehen. Die paar Plakate etc., die auf irgendeinen popkulturellen Aspekt anspielen, reißen das nicht raus.
7. Die Folterszene ist eigentlich nicht der Rede wert. Wer hin und wieder mal ein Buch liest, hat schon weitaus (das meine ich wörtlich: weitaus!) Schlimmeres hinter sich. Unangenehm ist aber, dass man hier in einem interaktiven (!) Medium keine (!) Wahl hat. Man muss die Mission machen, wenn man das Spiel als solches weiterspielen will, und ich behaupte, viele machen das schon alleine deswegen, weil sie kein Geld in den Sand setzen wollen. Ich fand die Szene aus diesem Zwang heraus unangemessen, denn auf diese Weise wird einem kein Spiegel vorgehalten, und im Gegensatz zur Literatur kann ich auch keine Distanz aufbauen. Ich bin das, der foltern muss. Eine Zwischensequenz hätte es für die Pointe auch getan. Im Übrigen wird Waterboarding gewissermaßen sogar verharmlost, denn von den Methoden, die man zur Auswahl hat, ist sie die "humanste". In diesen Kategorien will ich nicht denken müssen. Es gibt immer die Wahl, nichts zu tun. So sollten im Übrigen auch gerade 12-Jährige nicht denken müssen (und machen wir uns nichts vor: Das ist trotz Alterkennzeichnung eine einkalkulierte und gewollte, in jedem Fall aber reale Zielgruppe). Man mag einwenden, dass dieses Spiel ohnehin einem Amoklauf gleicht. Richtig, aber die gesamte Action, die GTA auszeichnet, ist übertrieben und unpersönlich. Deshalb berührt sie einen nicht. In der Folterszene werde ich hingegen angefleht aufzuhören. Ich behaupte mal, wenn man solche Reaktionen verletzter und sterbender Personen auf die Hauptspielmechanik übertragen würde, hätte das Spiel auch einen massiven Einbruch in den Absatzzahlen ...
9. Das Spiel duldet so gut wie keine eigenen Herangehensweisen und ist innerhalb der Missionen massiv gescriptet!
Beispiel: Mein Hund sucht Güterwagen nach einem Verdächtigen ab. Ich muss immer wieder auf ihn umschalten, damit er weitergeht. Einfach gleich alle Wagen zu öffnen, ist nicht möglich. Als ich beim letzten Wagen bin, stehe ich auf der anderen Seite, und solche Wagen haben ja auch Türen auf beiden Seiten. Von drüben höre ich den Hund bellen, aber öffnen lässt sich die Tür von hier nicht. Als ich also um den Wagen herumgehe und ihn öffne, passiert was? Klar, die Seite, auf der ich vorher stand, ist nun offen, und der Dieb flieht. Warum? Weil die Entwickler das so wollen.
Schlimmer ist das bei Verfolgungsmissionen. Langsame Fahrzeuge (z.B. LKW) werden so irsinnig beschleunigt, dass man sie vor dem Triggerpunkt nicht überholen kann, egal, wie man fährt. Und es ist wirklich relativ egal, denn zugleich ist bis zu einem gewissen Limit Rubberbanding aktiv. Am besten fährt man also halbwegs gemächlich hinterher. Schießen bringt z.T. auch nichts, weil die Fahrzeuge bis zum Triggerpunkt unverwundbar sind. Öder geht es nicht.
Kurz und gut: GTA lässt so gut wie keine eigenen Entscheidungen zu. Man hat keinen wirklichen Einfluss auf die Spielwelt.
Unter diesem Umstand kann ich es auch sehr gut verstehen, wenn im Test von einer Stagnation auf hohem Niveau gesprochen wird. Die Spielwelt mag offen sein - dauerhaft oder gar aufgrund von Entscheidungen beeinflussbar ist sie nicht!
Insgesamt sehr guter Kommentar mit Kritik am Spiel, die der Rezension von Herrn Oertel auch gut zu Gesicht gestanden hätte. Bei den drei obigen Punkten muss ich aber einhaken/widersprechen.
2. Ich frage mich immer, warum man denn Gebäude betreten sollte? Das ist immer noch Spiel, bei dem das Hauptaugenmerk auf Dingen liegt, die man an der frischen Luft tut, und kein Skyrim. Was sollte man denn innerhalb der Gebäude tun können? Ich mag z.B. Franklins Vinewood-Wohnung gern, aber in fremde Häuser eindringen, um die Inneneinrichtung zu begutachten würde mich nicht so sehr reizen.
Natürlich wären ein paar mehr Interaktionsmöglichkeiten, auch in Gebäuden, ganz gut. Aber das würde den Programmieraufwand in auch bei einem Spiel dieser Größenordnung unerreichbarre Höhen treiben. Genau das stört mich auch zeitweise am Test, manche Forderungen halte ich für schlichtweg unrealistisch.
7. Genau weil die Folterszene einen zwingt, etwas wirklich unangenehmes zu machen und einem keinen Fluchtweg bietet, quasi kurzzeitig den kriminellen Joyride durchbricht, ist sie ja so stark.
Eine unpersönliche, distanziertere Folterszene wäre nichts anderes als genau das, was manche dieser vorwerfen - ein zynische Pointe ohne Wirkung. Im übrigen ist es wirklich das Problem der Eltern, ihrem Kind den Zugang zu so einem Spiel nicht zu ermöglichen. Zu meinen Zeiten, als man für den C64 Raubkopien von allem möglichen, auch Sexspielen und Nazischrott im Klassenzimmer getauscht hat und die Eltern mit der neuen Technik überhaupt nichts anfangen konnten, war diese Kontrolle erheblich schwieriger als heute.
9. Im Hinblick auf die Missionen kann ich diese Kritik absolut nachvollziehen. Nachdem ich aber gelesen habe, dass man z.B. durch das Abschießen von Flugzeugen einer Airline die Aktien der Konkurrenzgesellschaft in die Höhe treiben kann und damit satt Geld machen und es wohl noch mehr solcher indirekter Einflussmöglichkeiten gibt, bin ich aber halbwegs versöhnt.
Mein Fazit: Das Spiel könnte noch viel mehr viel besser machen, und es flasht - vielleicht auch notgedrungen - nicht mehr ganz so wie frühere GTAs, dennoch ist für mich die Kulmination der Serie und jeden Cent wert.