Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

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Obstdieb
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Obstdieb »

Ich hab, seit deiner Offenbarung, auch schon über ein paar Vorschläge nachgedacht.
Das New Vegas auf deiner Liste ist, finde ich schonmal sehr gut, auch Dishonored kann ich wärmstens empfehlen. Mir würde noch Rage einfallen ! Ich hab mich vor dem Spiel ziemlich gescheut aber besonders die Kämpfe, machen wegen der tollen KI, und der guten Animationen sehr viel her. Für 5-10 Euro also durchaus spielbar.
Half Life 2 ist natürlich genial, und auch heute noch spielbar. Da würde ich genau wie bei Portal nochmal die Denkmurmel anwerfen. Gerade die Optik passt zum gesamten Stil des Spiels.
Portal 2 ist eines von den ganz wenigen Spielen, wo ich überhaupt nix auszusetzten habe. Sonst findet sich immer überall was aber Portal 2 scheint perfekt. Als letztes fällt mir noch Far Cry 2 ein, aber das gibts ja bei Gog ohne Kopierschutz. Meiner Meinung nach ein Pflichtitel in der öden Shooterlandschaft, der letzten Jahre.
Edit: Oweia, Mount and Blade ist mir entfallen. Ein ganz wichtiges Spiel, was du dir defintiv angucken musst. Ein Freund hat es das Pirates im Mittelalter getauft.

Frohe Weihnachten
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Mr.Freaky
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Mr.Freaky »

Dazu ein Anmerkung, wenn Mount & Blade, dann natürlich Warband. ;)
kamm28
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von kamm28 »

Zu den Portal-Spielen nur so viel: Ich hasse Apple. Und trotzdem würde ich mich zu folgender Auflistung hinreißen lassen:

- Discworld Noir
- No one lives forever 1 & 2 im Verbund
- Anachronox
- Mafia
- Beyond good & Evil
- Vampire: Bloodlines (mit Abstrichen)
- Psychonauts
- The Witcher
- Edna bricht aus (mit Abstrichen)
- Portal 1 & 2 (unbedingt zusammen betrachtet; Portal 1 allein bringts nicht)

PS: Es geht um große Emotionen und Sympathie, weshalb solche Meisterwerke wie System Shock 2 und Deus Ex nicht auftauchen.
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Obstdieb
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Obstdieb »

kamm28 hat geschrieben:Zu den Portal-Spielen nur so viel: Ich hasse Apple. Und trotzdem würde ich mich zu folgender Auflistung hinreißen lassen:

- Discworld Noir
- No one lives forever 1 & 2 im Verbund
- Anachronox
- Mafia
- Beyond good & Evil
- Vampire: Bloodlines (mit Abstrichen)
- Psychonauts
- The Witcher
- Edna bricht aus (mit Abstrichen)
- Portal 1 & 2 (unbedingt zusammen betrachtet; Portal 1 allein bringts nicht)

PS: Es geht um große Emotionen und Sympathie, weshalb solche Meisterwerke wie System Shock 2 und Deus Ex nicht auftauchen.
Du scheinst den Thread nicht mitverfolgt zu haben, es geht im Moment eigentlich nur um Spiele die man nicht ohne Steam spielen kann. Ausserdem hat Mr.Archer mitsicherheit 60 oder 70 Prozent von den oben genannten Spielen schonmal erwähnt :)
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Genkis
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Genkis »

er bezieht sich darauf, dass mr.archer das portal design mit apple's verglichen hat und dass er trotz des looks portal zu seinen eigenen lieblingsspielen hinzuzählt.
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Obstdieb
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Obstdieb »

Genkis hat geschrieben:er bezieht sich darauf, dass mr.archer das portal design mit apple's verglichen hat und dass er trotz des looks portal zu seinen eigenen lieblingsspielen hinzuzählt.
Ah ok, hab ich irgendwie falsch verstanden.
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Achmedtheanimal
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Achmedtheanimal »

ach Archie musste gerade an dich denken, als ich Watchmen Bluray geguckt hab hihi

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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Danke! Ist ja wirklich charmant, dass hier einige beim Sehen von Watchmen unterdessen meiner gedenken. Tja, mein Rorschach. Schön war die Zeit. Obwohl ich mich ihm ja auch in solchen Momenten recht nahe fühle:

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Doch genug der vergangenen Zeiten. Im übrigen denke ich da am konkreten Beispiel tatsächlich wirklich drüber nach. Wie bereits geschrieben: ich spiele aus Erinnerungs- und Vergleichsgründen gerade mal wieder das originale Deus Ex. Und obwohl ich vergangene Nacht an einem Stück das erste Drittel bis Hong Kong weggesuchtet habe, muss ich sagen: es ist nur ein Auffrischen. Ich hatte meine Zeit mit diesem Spiel und sie liegt zurück und hinter mir. Ich glaube, mein letzter Durchgang war irgendwann Mitte der 2000er Jahre. Und ich ertappe mich dabei wie ich trotz der vielen Jahre, die dazwischen liegen, in meine alten Deus Ex - Muster zurückfalle. Ich fokussiere mich auf die gleichen Waffen wie damals, auf die gleichen Implantatmodule. Ich klappere sogar die Nebenmissionen in der gleichen Reihenfolge ab, wenn ich nicht irre. Merkwürdige Erfahrung. Als ob ich durch ein Museum meines Spielerselbst von vor sieben Jahren laufe.
Ausserdem beschleicht mich irgendwie das Gefühl, dass unter dem Strich mit den Jahren des Abstandes für mich persönlich Vampire: The Masquerade Bloodlines noch einen Zacken besser ist. Wegen der verschiedenen Vampirklassen. Dann all der herrliche Pulp und Vampire-Gothic-Sex-Trash. Und so.

Was aber im Vergleich sofort auffällt, ist die viel stärkere Ausrichtung von Deus Ex: Human Revolution auf Stealth als es noch beim Opa der Fall war. Ich schreibe zum Enkel nach meinem Vergleichszock noch ein paar Gedanken mehr auf. Aber dieses Fazit kann ich denke ich jetzt schon ziehen. Finde ich das schlecht? Nö.

Ach - und Invisible War habe ich mir nun auch mal für vier schlanke Münzen geordert. Nach all den Jahren will ich die Mutter aller PCler-Neurosen hinsichtlich Multiplattformeritis nun endlich mal in Augenschein nehmen. Weil mich der Weitergang der Geschichte interessiert.

Precursors muss also noch ein bisschen warten. Im Moment ist Deus Ex - Zeit.
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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Als ob wir es nicht immer gewusst haben – Die Deus Ex-Story


„Finger weg von meiner Paranoia, die war mir immer lieb und teuer,
nie ließ sie mich so kalt im Stich wie du."

Element of Crime


Der Osteuropa-Shooter-Thread macht gerade eine Pause. Er hält sozusagen Winterschlaf und ruht sich für das Kommende aus. Sein Betreiber allerdings mag es ihm nicht gleich tun sondern zockt ein bisschen in der Gegend herum. Am Ende des letzten Herbstes unterlief ihm dabei ein Verrat an den eigenen Prinzipien und daher hat nun Steam seine schmierigen DRM-Tentakelarme auch an meiner Festplatte festsaugen dürfen. Was wäre als Anlass dieses Prinzipienbruchs angemessener als ein Spiel, das sich ausgiebig mit den Überwachungsängsten und dunklen 1984-Phantasien beschäftigt, die einen der schillernsten Aspekte der US-amerikanischen Popularkultur darstellen und gleichzeitig eine tragende Identitätssäule dieser merkwürdigen Nation bilden.

Die Fakten sind ja allgemein bekannt und längst auch zu uns rübergeschwappt: die U S und A sind eine gigantische Spielwiese einer längst nicht mehr zu überschauenden Vielzahl von konkurrierenden, geheimen Regierungsorganisationen, die in kilometertiefen Bunkeranlagen Superviren züchten, Dimensionstore bewachen und als Aliens verkleidet entführten Bibelbeltlern ihre Finger in den Po stecken. Das Land wird von einer Schattenregierung von Superreichen regiert, hinter denen letztlich russische Oligarchen-Töchter-Schoßtiere mit telepatischen Kräften stehen. Jeder Bürger ist in diversen Listen verzeichnet, die im Falle eines quasi jederzeit ausrufbaren nationalen Notstandes seine sofortige Inhaftierung in lange dafür vorbereitete Lager regeln, wo sein Gehirn an einen Superrechner verstöpselt wird mit dem das Hubble-Teleskop seine eigentliche Funktion erfüllen wird: ein schwarzes Loch auf halbem Weg zum Mond zu öffnen, das unser Sonnensystem verschlingt – so wie es die Großen Alten seit langem planen. Ph'nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtagn.

Verschwörungstheorien machen Spaß. Ich könnte mir quasi permanent welche ausdenken. Zum Beispiel bin ich davon überzeugt, dass das deutsche Autobahnnetz einzig und allein dem Zweck dient, der jeweils amtierenden Bundesregierung Sondereinnahmen zu bescheren. Das läuft über die LKW-Lieferflotte von Aldi, welches eigentlich eine Tarnfirma des Verbraucherministeriums ist (Deswegen gibt es auch kaum Information über die Aldi-Brüder. Sie existieren schlicht nicht). Die LKW können von zahlungskräftigen Interessenten für einen gewissen Zeitraum gebucht werden, in welchem sie eine beliebige Werbebotschaft über Niedrigfrequenz-Wellen aussenden. Über das vorbildlich ausgebaute deutsche Autobahnnetz werden diese dann in jeden Winkel des Landes getragen. Mit den gerade in der Erprobung befindlichen Gigalinern wird in Zukunft eine noch intensivere Bestrahlung möglich sein. Derzeit läuft hierzu ein vielversprechender Feldversuch. Hat Euch in letzter Zeit vielleicht auch gewundert, wieso sogar als seriös und kritisch geltende Printmedien eine tägliche Berichterstattung über das Dschungelcamp auf ihre Seiten gehievt haben? Eben. Die Wahrheit ist irgendwo da draußen!

Warren Spector hat bei Eidos zu alldem im Jahr 2000 das letztgültige Videospiel entworfen und herausgebracht. Es ist hier im Thread ja bereits angesprochen worden und dem einen oder anderen Leser bekannt: ich trage seither tagtäglich den Deus Ex – Schlüsselanhänger der Special Edition dieses Spielmonolithen mit mir herum. Einer der im Spiel vorkommenden Türcodes bildet bis heute die Grundlage meiner PIN-Zahl. Man kann sagen, dass mir Deus Ex einiges bedeutet. Daher mag man auch ermessen können, mit welch bangen Gefühlen ich Deus Ex: Human Revolution zusammen mit Steam auf meiner Festplatte installiert habe. Und wie groß nun meine Erleichterung ist, meine überaus große Freude. Hosianna! Es gibt in dieser Branche also doch nicht nur Kretins. Es gibt hier Menschen mit einem Gewissen, Leute, die ein Verständnis für die Wurzeln dieses Unterhaltungsgenres haben und die begriffen haben, was die Faszination einiger seiner Klassiker ausmacht und wie man diese respektvoll in die Sprache der Gegenwart transferiert.

Aber ich will nicht zu sehr vorgreifen. Deus Ex: Human Revolution war für mich der Anlass, eine Art spielende Rekapitulation dieser Spielserie zu unternehmen und mich mit ihrem Werdegang auseinanderzusetzen. In den folgenden drei Teilen werde ich meine dabei gemachten Beobachtungen schildern. Es sei dabei vorausgeschickt, dass das bei Teil 1 und 2 auch unter Verwendung von Spoilern geschehen wird. Dies ist ein Metatext, der sich neben der Geschichte der Spiele auch stark mit ihrer Mechanik, dem Design etc. beschäftigen wird. Er geht von einem Publikum aus, das zum Kreis der Wissenden gehört. Den bereits mit Helios Verschmolzenen. Yesss.
kamm28
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von kamm28 »

Argh! Schnell Deus Ex 2 zocken! Und dann lesen. Zum Glück sind bald Semesterferien. :)
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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Deus Ex (2000)


„First we take Manhattan, then we take Berlin."
Leonard Cohen


Der bei einem Terroranschlag abgesprengte Kopf der Freiheitsstatue liegt vor mir. Über die nachtschwarze Bucht leuchtet die Skyline von Manhattan herüber. Ich meine, die Twin Towers erkennen zu können. Da vorne kommt der NSF-Soldat auf seiner Runde zurück. Ich mache den Teaser bereit.

Was für ein Auftakt! Deus Ex feiert dieses Jahr seinen dreizehnten Geburtstag und es bringt das Kunststück fertig, heute mit seiner Geschichte noch dunkler zu wirken als zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. Millenium. Postmoderne, Ende der Geschichte. In der Nachbar-WG gucken alle seit einer Woche rettungslos bekifft Matrix in einer Art Endlosschleife und schieben den Horror. Wir verschmelzen mit der Maschine. Dringlichere Probleme gabs damals nicht. Ein Jahr darauf klingelt im Zeltplatzurlaub auf einer kroatischen Insel das Handy meiner Freundin. Ob bei uns alles okay wäre. Wir sind verwundert. Ja, habt ihr dort denn keine Zeitungen? Es ist der 11. September 2001. Am nächsten Morgen drängelt sich die komplette deutschsprachige Zeltplatzklientel um das einzige Inselexemplar der SZ. Bush Junior steht mit einem Megafon in den Trümmern am Ground Zero. In den nächsten Jahren lerne ich Stück für Stück, dass Deus Ex vielleicht gar nicht so fiktional war, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Frei erfundene Kriegsgründe, geheime über die Welt verstreute Verhör- und Folterknäste, dubiose Regierungsorganisationen, religiöse Fanatiker, Terror gegen Zivilisten, Verschmelzen angeblich verfeindeter Parteien ab einer bestimmten politischen Einflussgröße, kriegsrechtähnliche Eingriffe in die bürgerlichen Freiheiten, Cyberangriffe auf Sicherheitsnetzwerke. War das nicht eben JC´s schwarzer Tarnkappenhubschrauber über den Dächern der Stadt?

Rückblickend begreife ich angesichts all dessen heute mehr und mehr, wie mir die popkulturelle Unbeschwertheit und (so selbstkritisch sollte man sein) Ahnungslosigkeit und Naivität der 90er Jahre doch fehlt. Wir waren noch gemeinsam mit Picard interstellare Gutmenschen und stolz darauf. Plötzlich ist das ein scheinbar gesellschaftlich anerkanntes Schimpfwort, in Talkshows streitet man sich über Religion, Kulturenkampf und angeblich über die Gene vererbbare Intelligenz, Shooter sind keine kunterbunten Ballerbuden mehr sondern interaktive patriotische Rekrutierungsvideos für die NATO-Truppen und Jack Bauer wird auch gleich wieder drastisch bei den Ermittlungsmethoden. Deus Ex wirkt für mich heute wie ein Menetekel an der Wand. Bald ist Schluss mit lustig, Freunde. Und so kam es dann auch. Zu lachen hatten hier bald nur noch Leute mit einer sehr zynischen Auslegung von Humor. Ich bezweifle, dass Warren Spector das alles in diesem Ausmaß vorhergesehen hat. Ganz sicher rechnete niemand bei Eidos während der Arbeit an diesem Spiel damit, dass ein Jahr nach seiner Veröffentlichung zwei Passagierflugzeuge in das New Yorker WTO gesteuert werden. Aber das ist rückblickend nicht wichtig. Wichtig ist, dass er mit Deus Ex ein Kunstwerk geschaffen hat, das den Geist einer kurz vor ihrem Ende stehenden Epoche widerspiegelt, einen Ausblick auf das Kommende erlaubt, und das heute rückblickend erklären kann, wieso wir dort angelangt sind wo wir uns gerade befinden. So etwas gelingt nur selten. Wenn es glückt, erhält man etwas Epochales und zugleich Zeitloses. Einen Beitrag für den Kanon mit Ewigkeitsanspruch. Deus Ex ist, hm, sagen wir mal unser Mann ohne Eigenschaften. Unser Berlin Alexanderplatz. Oder unser kafkaeskes Schloss.

Ich habe im Vorfeld dieser Zeilen wie bereits geschrieben, Deus Ex nach Jahren noch einmal komplett durchgespielt, um das Gedächtnis aufzufrischen. Es dürfte denke ich das vierte Mal gewesen sein. Ich habe dabei die zeitlosen Qualitäten dieses Ausnahmespiels sofort wieder erkennen und wertschätzen können. Sein gutes Leveldesign. Die unglaubliche Vielschichtigkeit der Spielwelt sowie die große Sorgfalt, die bis in kleine Details bei der Umsetzung der Geschichte zu spüren ist. Die vorbildliche Implementierung verschiedener Lösungsansätze. Das ausgereifte Entwicklungssystem der Spielfigur. Der gut ausgewogene, mit dem Ausbau des Avatars steigende Schwierigkeitsgrad. Deus Ex ist bis heute was die Spieltiefe angeht maßgebend.

Trotzdem denke ich, dass es das jetzt in diesem Leben für mich war. Noch einen Durchlauf wird es wohl nicht geben. Denn ich habe dieses Spiel in jedem seiner Aspekte ausgeschöpft. Und ich habe mich beim jüngsten Durchlauf dabei ertappt, wie ich bereits gegangene Pfade wieder beschreite und von einem Flashback in den nächsten laufe. Am Ende lande ich doch immer wieder bei einem aufs Maximum ausgebauten Präzisionsgewehr und bei der Entscheidung, mit Helios zu verschmelzen, um meinen Gottkomplex wenigstens virtuell mal richtig ausleben zu können.

Zum Abschied sollen daher hier auch ein paar Worte der zaghaften Kritik geäußert werden, die man sich nach dreizehn Jahren ungebrochener Vasallentreue vielleicht doch erlauben darf. Hauptsächlich bezieht sich diese Kritik auf den Stealth-Aspekt des Spiels. Den finde ich nämlich nicht hundertprozentig gelungen. Warum? Weil mir ein klares Feedback fehlt, wann mich die KI sehen kann und wann nicht. Brauche ich zwar beim vierten Durchlauf nicht mehr. Das liegt aber an mir und meiner Kenntnis jedes einzelnen Levels. Wirklich gute Schleichspiele, wie die beiden entfernten Thief-Verwandten aus dem Hause Looking Glass, geben dem Spieler da entschieden mehr Feedback und vermitteln ein intensiveres Bedrohungsgefühl.
Ein anderer Kritikpunkt bezieht sich auf den Entscheidungsstrang, der zur Verschmelzung mit der Helios-KI führt. Der kommt nämlich kurz vor Schluss dann doch etwas holterdiepolter daher. Deus Ex ist ein Spiel, das den reinen Shooter – Spielansatz sicherlich nicht fördert und als beste Lösung ins Zentrum stellt. Das heißt aber nicht, dass es ein gewaltfreies Spiel wäre. Ich wage zu behaupten, dass die allerwenigsten das Spiel absolvieren, ohne „zu töten". Wenn einen Helios dann im Area 51 – Bunker plötzlich angesichts des zu Levelbeginn leblos am Boden liegenden Technikers über den Infolink nach den eigenen Gefühlen bei diesem Anblick fragt, dann verstehe ich das vom Storygesichtspunkt her als Versuch einer KI, das menschliche Konzept von Moral zu begreifen. Aber angesichts JC´s auf dem Weg hierher erlangten Perfektion am Snipergewehr und dem einen oder anderen mit durchschlagender Wirkung umprogrammierten Militärbot passt das alles nur auf dem Papier so richtig gut zusammen. Überhaupt muss ich sagen, dass man von Deus Ex wirklich viel behaupten kann. Aber eine besondere menschliche Wärme strahlt es nun nicht gerade aus. Und da ziehe ich durchaus Dinge wie Nicolette Duclares schwieriges Verhältnis zur verstorbenen Mutter oder den dankbaren kleinen Jungen im Pariser Silouette-Bunker mit in die Betrachtung ein. Zum Herz erwärmen geht man dann doch lieber in andere Welten.

Na ja. Und wie es die wackeren Eidos-Mannen im Jahr 2000 hinbekommen haben, aus der zu Dingen wie Unreal, Star Trek: Klingon Honor Guard oder Deep Space Nine: The Fallen fähigen Unreal Engine eine derart unscheinbare graue Maus zu machen, bleibt wohl auch ihr Geheimnis. Bei aller Liebe: ein optischer Hingucker war Deus Ex auch im Jahr 2000 schon nicht. Und mit Blick auf die weitere Entwicklung der Reihe muss man leider feststellen, dass Spieler viel verzeihen können. Cliff Bleszinski allerdings offenbar nicht. Man trifft sich im Leben immer zweimal. Drei Jahre später wird auch Warren Spector das erfahren müssen.

Hier bleibt zunächst aber festzuhalten, dass es bei Musil ja auch kein Argument ist, dass man in seine Sprache erstmal reinkommen muss. Klassiker bleibt Klassiker. Also setzt Euch gefälligst auf Euren Hosenboden und spielt das, Ihr Zwanzigundetwasler!
Zuletzt geändert von mr archer am 28.01.2013 22:12, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Almalexian »

Trotzdem denke ich, dass es das jetzt in diesem Leben für mich war. Noch einen Durchlauf wird es wohl nicht geben.
Oh, diese Naivität :D
"Deus Ex: Whenever someone mentions it, someone's gonna reinstall it"

Aber ein hübscher Rückblick auf Deus Ex hinsichtlich des weltanschaulichen Erwachsenwerdens (oder einfach eines wachsenden Zynismus, wie mans nimmt). Review kann ja jeder (sogar ich).
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Deuterium
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Deuterium »

Almalexian hat geschrieben:Review kann ja jeder (sogar ich).
Toll. Und ich dachte, ich sei was Besonderes. Ihr findet mich dann am Dachbalken...

Meine Deus Ex Erfahrung sieht bisher so aus:
Gekauft/Gemietet- Definitionsfrage-
Einweisung gespielt
Mich nach 10 Metern im Spiel erwischen und abknallen lassen.
Die Motivation vor dem inneren Auge in sich zusammenfallen sehen.

Aber das wird schon noch mal was.
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Mr.Freaky
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Mr.Freaky »

Bei den Twin Towers hast du dich wohl geirrt, Archer, dazu noch eine interessante Info:

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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Mr.Freaky hat geschrieben:Bei den Twin Towers hast du dich wohl geirrt, Archer, dazu noch eine interessante Info:

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Na bloß gut, dass ich den Konjunktiv benutzt habe. Tja, das lässt nun Raum für Spekulationen, wie man so schön sagt. Hö hö.