Hallo black_shrimp,
vielleicht beruht diese Einschätzung ja auf einem Missverständnis von Was und Wie:
black_shrimp hat geschrieben: ↑18.10.2018 14:23 Genauso verhält es sich mit den gesellschaftlichen oder moralischen Inhalten. Das loszulösen vom Endprodukt ist Wahnsinn.
Ich versuche das mit den äußeren Umständen nochmal zu erklären. Wenn ein Spiel gesellschaftliche oder moralische Inhalte thematisiert, dann sind sie
natürlich relevant für die Einschätzung - wir reden ja sehr ausführlich über Story, Regie & Co. Aber nicht in erster Linie das, was dort thematisiert wird, ist wichtig, sondern vor allem die Art, wie es thematisiert wird. Deshalb sind wir ja Kritiker, nicht Politiker. Es geht mir darum, ob man als Entwickler diese Inhalte gut oder schlecht integrieren kann. Ein Spiel wird nicht dadurch besser, dass sie einfach nur vorhanden sind - oder dass man sie als Privatperson teilt.
Nehmen wir Sexualität und Gewalt: Im Literaturbetrieb der deutschen Nachkriegszeit hatte es ein Hamburger Schriftsteller wie Hans Henny Jahn schwer, akzeptiert zu werden, weil er Sexualität und Gewalt auf eine direkte Art thematisierte, die gesellschaftlich nicht akzeptiert war. Die meisten Kritiker droschen auf ihn ein, zumal es homosexuelle Vorwürfe gab, obwohl er stilistisch zu den ganz Großen unserer Sprache zählte. Aber nicht das Wie wurde beurteilt, sondern nur das Was. Ich empfehle "Das Holzschiff", falls man ihn nicht kennt.
In der heutigen Gesellschaft sind andere Dinge verpönt oder werden geächtet. Nur weil ein Spiel auf diese Züge aufspringt, die aktuell großen Applaus bringen oder irgendwelche Lobbys befriedigen, wird es nicht automatisch ein besseres. Zwei Beispiele: Ich habe das Anti-Kriegsspiel This War of Mine gelobt, weil es ein wichtiges Thema auf kreative Art inszenierte. Ich habe das Anti-Kriegsspiel Cloud Chasers, das auch das Flüchtlingsdrama thematisierte, nur ausreichend bewertet, weil die Inszenierung einfach zu schwach war. Unsere indirekte Unterstützung bekam das Thema ja dennoch, weil wir überhaupt darüber sprachen. Aber es war trotzdem ein eher schlechtes Spiel.
Weil die ehemals anarchistische Spielebranche politisch so korrekt geworden ist, ist die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung ja recht hoch - und für die Verkäufe zuträglich. Möglichst wenige Randgruppen, Religionen und Lobbys sollen sich auf den Schlips getreten fühlen, so dass man im schlimmsten Fall alles Streitbare streicht oder Quotenplätze befüllt. Das ist mittlerweile wie im Filmbereich, wobei ich diesen in Teilen für deutlich mutiger halte. Dort können und wollen Regisseure klarer gegen den Strom schwimmen. Und ich finde es wichtig, wenn diese gesellschaftliche Bedürfnisse ignorieren - denn die Masse will immer nur das unaufgeregte Mittelmaß. Dabei sind es meist die Exzentrischen, Verrückten, Introvertierten, Durchgeknallten, Neurotischen, Psychotischen, Radikalinskis und Sonderlinge, die überhaupt kreative Visionen haben. Aber jetzt bin ich naiv, denn da beziehe ich mich vor allem auf die Literatur. Molyneux hatte immerhin Ansätze zur Hybris.
black_shrimp hat geschrieben: ↑18.10.2018 14:23 Wenn ihr bei jedem AAA-Titel wenigstens einen kleinen Nebensatz zu den Arbeitsbedingungen abgeben würdet, würde das schon ein ganz anderes Bewusstsein dafür schaffen.
Wir können die Arbeitsbedingungen in den Studios nicht so verifizieren wie Mikrotransaktionen - das müssen investigative Journalisten aus dem politischen Bereich leisten.
Trotzdem bilde ich mir ein, dass wir als Spielemagazin einen Teil zur kritischen Debatte beitragen. Wir bilden Missstände hinsichtlich Spielmechanik, Design, Regie oder auch Vertrieb und Drumherum wie aktuell zumindest ab.