Sharkie hat geschrieben: ↑19.10.2017 20:14
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Diese Entwicklung im Englischen ist zwar faktisch korrekt wiedergegeben, die Deutung, dass sich dies so gebildet hat, weil man es als am fairsten empfand halte ich jedoch für eine etwas steile These. Es mag Momente geben, wo sozial solche Erwägungen mit reinspielen, aber in erster Linie ist Sprache etwas vor allen Dingen funktionelles mit einem mindestens beiläufigen Anspruch auf klangliche Ästhetik.
Für wesentlich wahrscheinlicher halte ich es, dass sich derlei spezifisch weibliche Konstrukte eher zurückgebildet haben, weil sie eben dem Sprachfluss als zuwiderläufig empfunden worden waren und sich ihre Sinnhaftigkeit als nicht ausreichend gegeben darstellte. Ähnlich wie auch das im Englischen nahezu vollkommen abhanden gekommene Konjugieren von Verben. Man hat doch schon ein Personalpronomen genannt, warum muss dann das Verb nochmals betonen, auf wen oder was es sich bezieht? Also weg damit!!! In romanischen Sprachen gibt es da die genau umgekehrte Methode. Da gilt die Verwendung von Personalpronomen als überflüssig, weil ja die Konjugation des Verbes schon den Bezug herstellt. Pronomen werden da nur verwendet, wenn man den Bezug ganz besonders betonen will.
Eine Abwägung fair oder weniger fair hätte darüber hinaus wohl im Englischen gewiss nicht zu dem Ergebnis geführt, das generische Maskulinum komplett fix zu setzen und selbst bei Berufsbezeichungen auf eine weibliche Form weitgehend zu verzichten (Ist in einem Text an einer bestimmten Stelle dem Autor das Geschlecht bekannt, lässt sich für den Leser bis dahin aber noch nicht ableiten, werden durchaus noch weibliche Formen verwendet, wie etwa actess u. s. w.). Die über gesellschaftliche Konventionen gesteuerte "Fairness" hat in allen mir bekannten Sprachen ja dazu geführt, dass es ein ungeschriebenes Gesetz ist, bei Anreden von gemischten Gruppen immer die Frauen zuerst anzusprechen (liebe Kolleginnen, liebe Kollegen...), was im Übrigen von den Gendergerechten auffallend selten skandalisiert wird
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Unter dem von der modernen Gesellschaft als "fair" empfundenen Gesichtspunkt, hätte es eher zu einer Stärkung des sprachlichen Femininums geführt. Aber eben so funktionieren Sprachen weder in ihrer Ausgestaltung noch (was der ganz wesentliche Punkt ist) in ihrer kognitiven Verarbeitung in unserem Gehirn. Sie muss schnell und gut zu sprechen und noch schneller und das Gehirn am wenigsten beschäftigend verstanden werden. Punkt! Alles andere ist Mummenschanz. Darum haben sich Grundstrukturen gebildet, die das Hirn lernen kann und die es befähigen, sprachliche Informationen schnell und effizient zu verarbeiten, einzuordnen und vor allen Dingen nicht permanent jede Silbe immer wieder komplett neu bewerten und aufschlüsseln zu müssen, was hochgradig ineffizient wäre.
So funktioniert Sprachverstehen, so funktioniert unser Hören, so funktioniert unser Sehen. Unser Gehirn bewertet alles auf Basis von vorrangig in den ersten Lebensjahren gelernten Regeln und Mustern und legt alles, was wir über unsere Sinne aufnehmen an diese Muster und Regeln an, um nicht ständig aufs neue die ganze Welt von Grund auf interprtetieren zu müssen (So funktionieren übrigens auch die berühmten optischen Täuschungen).
Sprachen entwickeln sich somit in erster Linie auf dieser Ebene. Gerechtigkeit spielt da keine Rolle.
An dieser Kenntnis mangelt es in der Regel auch verlässlich denen, die meinen, Sprache auf der Ebene der Gerechtigkeit analysieren zu müssen. Sie verstehen nicht, wie Sprache vor allem auf der kognitiven Ebene im Hirn verarbeitet wird; wie unser Gehirn mit erlernten Mustern arbeitet, um in der Lage zu sein, aufgenommenes dann immerhin auch noch stets im aktuellen Kontext einordnen zu können. Das zeigt sehr exemplarisch ein alter feministischer Schenkelklopfer, der die Schädlichkeit des generischen Maskulinums aufzeigen soll:
Ein Mann und sein Sohn verunfallen mit dem Auto. Der Vater ist sofort tot, der Sohn kommt in die Notaufnahme einer Klinik. Das Klinikpersonal versichert, dass es dem Jungen bald wieder gut gehen wird, denn der behandelnde Arzt ist ein Experte auf seinem Gebiet. Als der Arzt kommt, sagt er jedoch: "Ich kann das Kind nicht behandeln, denn es ist mein Sohn."
Wie jetzt??? Schweigen im Raum. Keiner kommt auf die Idee, bis die stolze Feministin das Rätsel löst: Der Arzt ist die Mutter des Kindes. Und alle, die sich durch diese Manipulation auf die gerechtigkeitsanalytische Metaebene haben entführen lassen, sind perplex, wie sie nur die Sprache dazu verleitet hat, automatisch unter dem Arzt einen Mann zu verstehen und darum nicht auf die Idee haben kommen können, dass es die Mutter sein könnte.
Dabei zeigt die Geschichte aber genau das nicht, sondern eher, wie wenig die Erfinder solchen Unfugs über sogar die basalen Funktionen von Sprache wissen und wie präzise man tatsächlich mittels sprachlicher Grundregeln und -strukturen Informationen in Verbindung mit Kontext vermitteln kann. Und das alles auf vollkommen unterbewusster Ebene.
Der Grund, dass der Hörer nämlich bei dem Arzt an einen Mann dachte, liegt nicht in der Verwendung des generischen Maskulinums, sondern schlicht in seiner vollkommen falschen Verwendung. Der Kontext ist, dass dort jemand in eine Klinik kommt und das Personal vor Ort spricht von einem Arzt. Daraus leitet man ab: das Personal arbeitet dort, betitelt den Arzt gar als Experten, was nahe legt, dass sie ihn kennen. Und genau das führt dazu, dass man eben nicht von der Verwendung eines generischen Maskulinums ausgeht, welches nur Anwendung findet, wenn man von einer rein männlichen oder gemischtgeschlichtlichen Gruppe spricht oder von einer Einzelperson noch unbekannten Geschlechts. Man entnimmt dem Kontext, dass der grammatische Genus also bereits einen Rückschluss auf das biologische Geschlecht zulassen muss, weil das Klinikpersonal, das den Arzt kennt, eben gerade deshalb nicht über ihn im generische Maskulinum reden wird. Sie hätten bei korrekter Erzählung der Geschichte ganz klar von Anfang an von "Ärztin" und "Expertin" reden müssen. Alles andere ist schlicht falsch und kann entsprechend auch nicht kognitiv korrekt verarbeitet werden.
Ich denke dort entfaltet sich auch der Grundkonflikt zwischen denen, die Sprache eher als das sehen, was sie ist und denen, die sie ständig auf Basis kognitiv völlig ungeeigneter Kriterien zu analysieren versuchen. Und ja, Sprache entwickelt sich ständig, aber verlässlich auf der Ebene der Funktionalität und des Klanges, nicht auf der Ebene von gefühlter Gerechtigkeit.
Und bevor jemand mit dem Argument kommt " ja, aber wir sagen ja auch manche Worte nicht mehr, weil wir sie heute anders bewerten": Die Verwendung und Bewertung einzelner sinntragender Worte funktioniert anders. Da spielt sowohl beim Sender als auch beim Empfänger weit mehr Bewusstsein rein. Es ist schlicht etwas vollkommen anderes, als die Verwendung und das Verstehen von Grammatik, was ausschließlich auf der unterbewussten Ebene abläuft.
@ lichtpunkt
Solltest du hier noch einmal reinschauen: Ich finde, du hast hier super diskutiert und stark argumentiert.
Einzig bei deinem Fauxpas, Alice Schwarzer in die Genderecke zu stellen, musste ich zusammenzucken, weil ich dachte: "Au Backe, jetzt nehmen sie ihn auf Basis dessen auseinander". Aber zum Glück waren deine Diskussionsgegner diesbezüglich scheinbar auch nicht von großer Faktenkenntnis beleckt. Alice Schwarzer ist Vertreterin des Radikalfeminismus der zweiten Welle. Sie ist erklärte Gegnerin der aktuell gesellschaftlich, politisch und medial tonangebenden Feminismusströmungen (Gender und Intersektionalismus). Gab erst kürzlich einen Kolumnenbeef zwischen ihr und Judith Butler. War auf schräge Weise unterhaltsam. Ganze Armeen von Strohmännern, die man mit Unmengen an heißer Luft hinwegzublasen versuchte (auf beide Seiten bezogen).
Für Alice Schwarzer stellen diese Strömungen eine Verwässerung und Ablenkung von den ihrer Meinung nach wirklich wichtigen Themen dar. Und der Intersektionalismus ist ihr schon allein deshalb ein Dorn im Auge, weil die ideologieinhärente Opferolympiade unter anderem dazu geführt hat, dass von deren Vertretern Kopftuch und gar Burka als "feministische Kleidungsstücke" interpretiert werden, welche sie eben gerade (meines Erachtens tatsächlich zur Abwechslung zurecht) als Zeichen von Unterdrückung betrachtet. Darüber hinaus war schon immer ihre These, dass das Patriarchat den sogenannten Hauptwiderspruch darstellt durch dessen Überwindung sich alle "Nebenwidersprüche" (also alle anderen Formen von Diskriminierung und Unterdrückung) mit auflösen. Im Intersektionalismus sieht man all diese Formen alleinstehend und nur in einzelnen Personen verstärkend zusammenwirkend (Intersektion) auftreten können, was zwar tatsächlich ein Bisschen weniger lächerlich unterkomplex daher kommt, aber daran scheitert, dass die Anhänger dieser Ideologie zum einen Diskriminierungen immer sehr holzschnittartig betrachten und, vor der grundlegenden Fehlannahme, alles stets nur auf Basis von "Machtstrukturen" zu interpretieren, wobei natürlich sie festlegen, wer vermeintlich Macht hat, Diskriminierungen beständig nur als Einbahnstraßen betrachten, deren Richtung sie auch nie einer Revision unterziehen.