Scipione hat geschrieben:[...] Und jetzt liegt die Schuld auch noch ganz allein in der Männlichkeit?? [...]
Arrrrgh. Nein, ja gerade nicht!! Nochmal als Nachtrag dazu:
Die Schuld liegt eben NICHT allein in der Männlichkeit begründet. Warum auch? Laufen alle Männer etwa Amok und prügeln jeden, der ihnen grade im Weg steht, mit ihren mächtigen toxischen Penissen zu Tode? Weil sie als Geißel ihrer eigenen Brutalo-Sexualität nicht anders können? Ich habe mich hier doch lang und breit über Monokausalität ausgelassen, und dann würgst du mir so einen Satz wie den da oben rein.
Um das nochmal zu betonen: Die am Geschlecht sauber und mittig quergezogene Täter-Opfer-Dichotomie, die auch jahrzehntelang aus weiten Teilen des Feminismus propagiert wurde, ist Bullshit. Schon allein deshalb, weil Männer die mit Abstand größte Opfergruppe darstellen (nämlich vorwiegend ihre eigenen). War und ist aber ein Tabu, weil ein echter Mann gefälligst nur Täter zu sein hat. Und auch die weibliche Täterschaft war und ist ein Tabuthema, welches vollkommen hirnrissig ist und die enge Konnotation von "Frau" und "Opfer" nur weiter manifestiert, die man ja eigentlich auflösen möchte. Bei häuslicher Gewalt entwickelt sich da gaaanz laaaangsam mal ein differenzierteres Verständnis dieser unsinnigen Zweiteilung, denn zumindest im Bereich der leichten und der psychischen Gewalt stehen die werten Damen unseren Herren der Schöpfung in nichts nach.
ABER: Im gesamten Bereich der schweren Gewaltverbrechen ist der Frauenanteil nach wie vor verschwindend gering. Das ist Fakt. Um 2010 herum lag der Anteil der verurteilten Täterinnen in deutschen Knästen bei etwa 5%. Bei den richtig krassen Fällen, nämlich den Verurteilungen mit Sicherungsverwahrungen, waren es 0,6%. Ja, bitte mal reinziehen, 0,6% Frauen. Und diese klaffenden Unterschiede bei den Zahlen sind bei aller Liebe auch nicht mehr durch ein geschlechterspezifisches Anzeigeverhalten bzw. Dunkelzifferverzerrung (s.o.: Männer haben Täter zu sein und schweigen als Opfer, Frauen dürfen nur Opfer sein und werden nicht als Täterinnen angezeigt) oder ein sexistisches Verhalten bzw. Misandrie beim Vorgehen in der Strafverfolgung zu erklären. Da darf man sich nichts vormachen. Zu sagen, dass hätte mit Geschlechtlichkeit nicht das Geringste zu tun, wäre eine glatte Lüge, mindestens eine grobe Fahrlässigkeit. Das geht über den statistisch völlig unbedeutenden Bereich der Amokläufe auch WEIT hinaus.
Und natürlich liegt es bei dieser extremen Ungleichverteilung im Bereich schwerer Gewalttaten nahe, sich bei der Ursachenforschung nicht nur auf Gene, körperliche Fähigkeiten, neurologische Prozesse, Dispositionen für psychische/physische Krankheiten usw. zu konzentrieren, sondern auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit einzubeziehen. Und das wären nun mal in Geschlechterfragen neben "äußeren" Machtstrukturen auch die zugrundeliegenden Rollenverständnisse und Rollenerwartungen. [Anmerkung @sabienchen: Hier schrieb ich bereits, dass man keine prozentuale "Rangliste" der vielfältigen Faktoren erstellen kann. Wenn einen der kulturelle Aspekt in diesem Faktoren-Sammelsurium besonders interessiert, sollte man sich einfach damit beschäftigen. Andere tun das in anderen Disziplinen mit anderen Aspekten.] Nochmal: Das liegt absolut nahe, das ist nicht die Bohne weit hergeholt, das springt einen förmlich an. Gewalt ist NICHT männlich, aber Täter schwerer Gewaltdelikte sind es meist, und an diese Schieflage muss man auf allen Ebenen ran, auch der kulturellen.
Ich verfolge Sarkeesian nicht weiter im Netzt, daher weiß ich nicht, ob sie an anderer Stelle nicht ausschließlich einer diffusen Männlichkeit die Schuld gibt. In deinen zitierten twitter-Statements tut sie das nicht. Dort spricht sie explizit von "CONNECTIONS" und "IDEAS of toxic manhood/masculinity". Ist ein Unterschied. Sollte sie das an anderer Stelle kausal ausschließlich auf eine Männlichkeit einengen, ist sie in diesem Punkt halt eine Idiotin. Schön. Dann darf man aber keinesfalls folgenden Fehlschluss ziehen: Aus der Verneinung von "Plötzlich liegt alles nur an der Männlichkeit" folgt keineswegs → "Also muss es nichts mit Männlichkeit zu tun haben". Das ist dann eine Abwehrreaktion, die über's Ziel hinausschießt.