Hi Wiggenz,
danke erstmal, dass du auf meinen Kommentar so sachlich reagiert und versucht hast, meine Argumente zu verstehen, auch wenn du vielleicht nicht vollständig meiner Meinung bist. Als ich das gepostet habe, dachte ich erst schon, dass ich mir da noch ganz schön was für anhören darf. Und als ich dann die Länge deines Kommentares erblickte, dachte ich schon erst: "Oh Mann, sei stark, billy, und deck deine Eier gut ab, denn du wirst gleich viele Tritte in diese Gegend einstecken."
Bei dem Part, den du kritisierst, hast du mich ein Wenig missverstanden (hab ich vielleicht nicht gut genug ausgeführt). Ich bin auch der Meinung, dass, wenn ein Spiel erscheint, welches von Entwicklern und Publishern monatelang als künftiger Platzhirsch in seinem Genre angekündigt wird, letztlich aber nur ein billiger COD- oder WOW-Klon ist, der den Vorlagen nicht annähernd das Wasser reichen, geschweigedenn sie übertreffen kann, es dafür auch ordentlich Kante in einem Testbericht geben sollte, um alle Leser davor zu warnen, das PR-Blabla am Ende noch für bare Münze zu nehmen.
Mich stören nur die Aussagen, die klingen, als hätte den Testbericht ein gnatzendes Balg verfasst, dass atternd und um sich tretend unterm Weihnachtsbaum liegt, weil der Weihnachtsmann ihm mal wieder nicht jeden einzelnen Wunsch seiner persönlichen (!) Wunschliste hat erfüllen können.
Um jetzt mal ein frei erfundenes und satirisch überspitztes Beispiel zu bringen: so als wenn jemand GTA testet, währenddessen voll Bock darauf bekommt, mal mit nem Bagger zu spielen und sich dann im Testbericht zwei Seiten lang enttäuscht darüber auslässt, dass man auf keiner einzigen Baustelle im Spiel in einen Bagger einsteigen und mit ihm ein paar Löcher buddeln kann.
Ich weiß auch, dass Jörg nicht nur AC III meinte, sondern ein allgemeines Problem im Storytelling von Videospielen darstellen wollte. Er hat halt nur AC als Aufhänger genommen. Aber selbst das hätte ich an seiner Stelle anders gemacht. Es ist immer besser, etwas als Aufhänger zu wählen, bei dem jeder aus der Testberichthistorie weiß, dass man es eigentlich liebt. Wählt man, wie er jetzt, ein Spiel, dass man eh nicht so mag, macht man seine eigenen Argumente sehr angreifbar durch den Vorwurf der Voreingenommenheit.
Er redet ja auch schon seit langem davon, dass sich Spiele emanzipieren und als Kunstform anerkannt werden sollen. Nur ist ihm scheinbar nicht bewusst, dass seine (auch in dieser Kolumne vorgebrachten) Vergleiche mit Film und Literatur alles andere als eine Emanzipation des Videospieles sind. Er blendet dabei völlig aus, dass es auch Filme gibt, die ohne ihr audiovisuelles Drumherum als Buch nie so funktionieren würden. Wäre Avatar als Roman erschienen, wäre jedem nur aufgefallen, dass die Handlung ziemlich dünn und zudem nicht mehr ist, als ein "der mit dem Wolf tanzt" im Weltall. Als Film ist es durchaus beeindruckend.
Umgekehrt gibt es genug Bücher, die (zumindest ohne deutliche Entschärfungen) als unverfilmbar gelten.
Genauso muss man das auch bei Videospielen einsehen. Es gibt immer wieder Punkte, wo sich die unterhaltsame Interaktion, die ja nun einmal das Alleinstellungsmerkmal des Videospieles ist, und eine durchweg glaubhafte Erzählweise schlicht im Weg stehen.
Und wenn ein Entwickler an solch einem Punkt anlangt, bin ich ihm immer sehr dankbar, wenn er sich für die spielspaß- und nicht die erzählungsoptimierte Route entscheidet. Dasselbe hätte ich auch von Jörg erwartet, der ja auch schon oft genug z. B. Cutscenes als faulen Kompromiss bezeichnet hat, den es nur gibt, weil Entwickler zu faul sind sich bessere Arten des Erzählens einfallen zu lassen.
Ich glaube, dass es nie ein ECHTES Videospiel geben wird (Heavy Rain war nun halt doch eher interaktiver Film) welches genauso konsequente und plausible Handlungen erzählen wird, wie Bücher oder Filme; zumindest nicht ohne Ungereimtheiten wie die hier von Jörg kritisierten zu erzeugen. Und mich stört das nicht im geringsten. In Büchern und Filmen kann man stattdessen nicht der Held sein, sondern ist immer nur unbeteiligter Leser / Zuschauer.
Ach und zu der immer gern zitierten Immersion (Gott, wer aus der Redaktion ist im Duden über dieses Wort gestolpert und wann findet sich endlich mal ein Zweiter, der es versteht, das Wort sinnvoll in Bezug auf Videospiele zu interpretieren?): als damals, während der Killerspieldiskussion, immer wieder argumentiert wurde, Gewalt in Spielen hätte einen stärkeren Einfluss auf die Psyche als Gewalt in Filmen, weil Spiele ja interaktiv sind, hat ein Neurologe genau das mal getestet. Er ließ Probanden Filme sehen und dann Spiele spielen und maß, in welchen Bereichen des Gehirns am meisten los war. Während des Spielens waren aber lediglich Hirnaktivitäten messbar in Bereichen, die z. B. auch angesprochen werden, wenn man in etwa eine schwere Matheaufgabe löst. Die Filme hingegen brachten das Emotionszentrum zum Funkeln wie ein Christbaum. Die Erklärung der Wissenschaftler auf dieses unerwartete Resultat: in Filmen ist man der Handlung ausgeliefert, ohne sie beeinflussen zu können. Das erhöht die Solidarisierung mit den Protagonisten, mit denen man mitfiebert. Ein Spiel vermittelt hingegen durch seine Interaktivität das Gefühl, eigentlich immer alles im Griff zu haben. Solange man selbst keinen Mist baut, wird dem Helden schon nix passieren...
Der Mangel an emotionaler Einbindung hat also nicht zwingend mit schlechter Regie zu tun und auch nicht mit dem uncanny Valley (noch so ein furchtbarer, von Schwätzern gern zitierter Pseudofachbegriff), es ist ironischerweise gerade die Interaktion, der man eher ein höheres Potential der Einbindung zuschreiben möchte, die aber gerade dem im Wege steht. Warum sollten es denn z. B. auch die Gesichtszüge und -animationen sein? Die bewegen sich schon seit der PS2-Ära auf einem Niveau, das man in etwa mit alten Zeichentrickfilmen vergleichen kann. Und wieviele Generationen haben nicht schon bei Bambi Rotz und Wasser geheult?
Quint Essenz des ganzen Geschreibsels: man sollte (und vor allem Jörg sollte) endlich etwas reflektierter an die Sache mit Spielen und Kunst herangehen. Man tut Spielen keinen Gefallen, wenn man sie ständig an Büchern und Filmen misst, denn auch Filme können nicht immer dasselbe, was Bücher können und umgekehrt. Und beide können sie auch nicht dasselbe machen, was Spiele zum Teil schon lange beherrschen.