Re: 4Players: Spiele des Jahres 2018 - Das Spiel des Jahres
Verfasst: 09.01.2019 18:09
@Skabus:
Chris Crawford? Jetzt begreife ich zumindest, warum du bei der Interaktivität so energisch bist, die ja für ihn das alleinige Instrument zur spielerischen Vollendung ist. Ich überspitze etwas, aber da ist er zumindest eher Philosoph mit Vision als Spieldesigner. :wink:
Ich kenne seine Sichtweisen. Aber ich teile sie nicht, weil ich das Spiel deutlich einfacher als kultischen Zeitvertreib und eine weitere mediale Ausdrucksform interpretiere, die mich als Spieler auch ohne eine weitere Evolution bereichert. Crawford hat zwar hehre Ziele, was künstliche Erzähl- und Dialogintelligenz betrifft, da stimme ich auch dem primitiven Status quo zu, denn ich würde mir selbstständiger agierende und kommunizierende Nichtspielercharaktere wünschen.
Aber ich widerspreche ihm, dass angeblich alle etablierten Medien, also Buch und Film, schon alles an Geschichten erzählt hätten, dass sie quasi nacherzählt auf dem "Computer" keinen kulturellen Vorteil bringen würden - zumindest war ihm Cervantes' Don Quichotte für seine Rede von 1992 noch gut genug, um sich dann dramatisch vom Acker zu machen, um gegen seine Drachen zu kämpfen.
Zwar wiederholen sich die Motive, denn über Liebe und Rache, Eifersucht und Freundschaft, Leben und Tod wird immer gesprochen werden. Aber jede Generation bringt neue Sichtweisen, neue Konflikte und Werte. Und ein Spiel kann dich auf eine ganz andere Art berühren, auf eine ganz andere Art mitnehmen oder abtauchen lassen als ein Buch oder Film - selbst wenn es die alten Geschichten mit alten Mitteln erzählt, selbst wenn es noch nicht Crawfords visionäre künstliche Kommunikation anbietet.
Hideo Kojima will das. David Cage will das auch. Er hat in keinem unserer oder mir bekannten Interviews dezidiert von Detroit als einem Film gesprochen oder dass er kein Spiel entwickelt. Er will aber in erster Linie für Emotionen sorgen und zum Nachdenken anregen, ohne klassische kompetitive Interaktionen einzusetzen, die ihn ebenfalls langweilen. Und natürlich hat er sein Detroit auch als Spiel bezeichnet - damit kehrte er ja quasi zurück zur Struktur von Heavy Rain. Für Crawford ist das natürlich eine "interactive storyworld". Aber wem hilft diese Abgrenzung außer einem wissenschaftlichen Diskurs, der sich dann in akademische Schulen verzweigt, die sich über Definitionen streiten? Was nützt es denn dem Zocker oder meinetwegen Verbraucher, wenn man etablierte Ansichten über das, was auch (!) ein Spiel sein kann, künstlich aufbricht? Die meisten Erwachsenen dürften im Jahr 2019 reif genug sein, ein Detroit zumindest als das zu erkennen, was es nicht ist - kein Shooter, kein Jump'n Run. Für mich als Spielekritiker wäre es auch ein kultureller Verlust, wenn man da etwas abschneidet, nur weil es nicht interaktiv genug ist.
Jetzt verstehe ich auch, warum du Shadow of the Colossus angesprochen hast, dass es dich nicht weiter als bis zum vierten Boss interessiert hat. Denn aus Crawfords Perspektive würde natürlich auch dieses Spiel nicht zum evolutionären digitalen Träumen anregen. Aber genau das hat es bei mir getan, es hat mich emotional berührt und irgendeinen Nerv getroffen. Es hat eine Sehnsucht geweckt und kreative Horizonte über sein Design aufgezeigt, die ich dem Spiel als Medium nicht zugetraut hätte. Deshalb konnte ich auch gar nicht aufhören. Selbst wenn ich auf dem Weg zum Ziel interaktiven Schablonen folgen musste, selbst wenn sich so viel wiederholte, genau so wie ich die Seiten eines Buches umschlage, musste ich das Ende sehen. Übrigens eines der besten dieser jungen Videospielgeschichte. Und eines, das ich in dieser Intensität nur aus wenigen Romanen oder Filmen kenne.
Ich mag es auch nicht, dass er etablierte Genre und Stilmittel unterschwellig entwertet, indem er aktuelle Spiele quasi als primitive Ausdrucksformen auf dem Weg zur vollendeten Kunstform sieht. Da geht er in seiner philosophischen Arroganz noch weiter als Molyneux, der das Göttliche immerhin zu entwickeln versuchte und an seiner Hybris scheiterte, wohingegen Crawford lediglich aus seinem theoretischen Universum heraus referiert. Und was ist seine unerreichte Form? Seine "People Games", in denen nicht das vorgegebene Storytelling oder irgendeine alte Geschichte, sondern die freie Kommunikation das zentrale Thema ist. So ganz habe ich seine Vorstellung nicht greifen können, weil sie einfach zu abstrakt bleibt. Trotzdem packe ich ein Zitat von ihm aus "Chris Crawford on Game Design "mal hierher, damit man sich etwas vorstellen kann:
Let me explain to you why interactivity is so overwhelmingly important. Let me talk about the human brain. You know, our minds are not passive receptacles, they are active agents. It’s not as if we have a button on the side of our heads and they come along and push the button and the top of our heads flips open and then they take a pitcher full of knowledge and pour it into our skull, and then they close the top of our head, shake well and say, «Congratulations, you’re educated now!». [...] All the higher mammals learn by playing, by doing, by interacting. And indeed, the higher the mammal, the more of its life is spent in play to prepare itself for adulthood. So you can see, this active role of the mind is fundamental to the way we think, it’s wired into our brains. And over the millennia we humans have learned ways to improve upon this. The first improvement is language. [...] So language is a way of allowing one person to learn from many different people. But you know, we’ve also learned to turn that concept around to use language as a way of allowing one person to teach many people. [...] the principle remains the same. And in fact, this is the genesis of art. 'Cause art really is just a way of communicating ideas.
[...] The interactive conversation is effective, but the expository lecture is efficient. That’s the trade-off we make. And over the centuries, we humans have learned that the gains in efficiency outweigh the losses in effectiveness. And therefore we choose expository methods. But the sacrifice remains real! We haven’t ever solved that problem. It’s been with us since the beginning of history. Every single artist has faced this, every communicator, every teacher, every novelist, every sculptor, every singer, every musician, every painter, every single artist through all of human history has been forced to sacrifice effectiveness for efficiency… until now. Because now we have a technology that changes everything. [...] That is the revolutionary nature of the computer. It allows us to automate interactivity to achieve both effectiveness and efficiency. That was the most important part of my dream.
Übrigens: Die Verflechtung von Haupt- und Nebengeschichten sowie den Charakteren gelingt gerade in RDR2 wesentlich besser als GTAIV. All deine Kritik an Letzterem ist richtig, aber man merkt einfach, dass du RDR2 noch nicht weit genug gespielt hast. Es gibt sogar Kommentare der NPC zu dem eigenen Fernbleiben, wenn man länger als erwartet in der Wildnis unterwegs ist. Klar gibt es offensichtlicheTrennungen, man kann über farbliche Markierungen entweder Haupt- oder Nebengeschichte triggern. Aber auch da ist Rockstar hinsichtlich der Verbindung dieser Elemente gereift.
Chris Crawford? Jetzt begreife ich zumindest, warum du bei der Interaktivität so energisch bist, die ja für ihn das alleinige Instrument zur spielerischen Vollendung ist. Ich überspitze etwas, aber da ist er zumindest eher Philosoph mit Vision als Spieldesigner. :wink:
Ich kenne seine Sichtweisen. Aber ich teile sie nicht, weil ich das Spiel deutlich einfacher als kultischen Zeitvertreib und eine weitere mediale Ausdrucksform interpretiere, die mich als Spieler auch ohne eine weitere Evolution bereichert. Crawford hat zwar hehre Ziele, was künstliche Erzähl- und Dialogintelligenz betrifft, da stimme ich auch dem primitiven Status quo zu, denn ich würde mir selbstständiger agierende und kommunizierende Nichtspielercharaktere wünschen.
Aber ich widerspreche ihm, dass angeblich alle etablierten Medien, also Buch und Film, schon alles an Geschichten erzählt hätten, dass sie quasi nacherzählt auf dem "Computer" keinen kulturellen Vorteil bringen würden - zumindest war ihm Cervantes' Don Quichotte für seine Rede von 1992 noch gut genug, um sich dann dramatisch vom Acker zu machen, um gegen seine Drachen zu kämpfen.
Zwar wiederholen sich die Motive, denn über Liebe und Rache, Eifersucht und Freundschaft, Leben und Tod wird immer gesprochen werden. Aber jede Generation bringt neue Sichtweisen, neue Konflikte und Werte. Und ein Spiel kann dich auf eine ganz andere Art berühren, auf eine ganz andere Art mitnehmen oder abtauchen lassen als ein Buch oder Film - selbst wenn es die alten Geschichten mit alten Mitteln erzählt, selbst wenn es noch nicht Crawfords visionäre künstliche Kommunikation anbietet.
Hideo Kojima will das. David Cage will das auch. Er hat in keinem unserer oder mir bekannten Interviews dezidiert von Detroit als einem Film gesprochen oder dass er kein Spiel entwickelt. Er will aber in erster Linie für Emotionen sorgen und zum Nachdenken anregen, ohne klassische kompetitive Interaktionen einzusetzen, die ihn ebenfalls langweilen. Und natürlich hat er sein Detroit auch als Spiel bezeichnet - damit kehrte er ja quasi zurück zur Struktur von Heavy Rain. Für Crawford ist das natürlich eine "interactive storyworld". Aber wem hilft diese Abgrenzung außer einem wissenschaftlichen Diskurs, der sich dann in akademische Schulen verzweigt, die sich über Definitionen streiten? Was nützt es denn dem Zocker oder meinetwegen Verbraucher, wenn man etablierte Ansichten über das, was auch (!) ein Spiel sein kann, künstlich aufbricht? Die meisten Erwachsenen dürften im Jahr 2019 reif genug sein, ein Detroit zumindest als das zu erkennen, was es nicht ist - kein Shooter, kein Jump'n Run. Für mich als Spielekritiker wäre es auch ein kultureller Verlust, wenn man da etwas abschneidet, nur weil es nicht interaktiv genug ist.
Jetzt verstehe ich auch, warum du Shadow of the Colossus angesprochen hast, dass es dich nicht weiter als bis zum vierten Boss interessiert hat. Denn aus Crawfords Perspektive würde natürlich auch dieses Spiel nicht zum evolutionären digitalen Träumen anregen. Aber genau das hat es bei mir getan, es hat mich emotional berührt und irgendeinen Nerv getroffen. Es hat eine Sehnsucht geweckt und kreative Horizonte über sein Design aufgezeigt, die ich dem Spiel als Medium nicht zugetraut hätte. Deshalb konnte ich auch gar nicht aufhören. Selbst wenn ich auf dem Weg zum Ziel interaktiven Schablonen folgen musste, selbst wenn sich so viel wiederholte, genau so wie ich die Seiten eines Buches umschlage, musste ich das Ende sehen. Übrigens eines der besten dieser jungen Videospielgeschichte. Und eines, das ich in dieser Intensität nur aus wenigen Romanen oder Filmen kenne.
Ich mag es auch nicht, dass er etablierte Genre und Stilmittel unterschwellig entwertet, indem er aktuelle Spiele quasi als primitive Ausdrucksformen auf dem Weg zur vollendeten Kunstform sieht. Da geht er in seiner philosophischen Arroganz noch weiter als Molyneux, der das Göttliche immerhin zu entwickeln versuchte und an seiner Hybris scheiterte, wohingegen Crawford lediglich aus seinem theoretischen Universum heraus referiert. Und was ist seine unerreichte Form? Seine "People Games", in denen nicht das vorgegebene Storytelling oder irgendeine alte Geschichte, sondern die freie Kommunikation das zentrale Thema ist. So ganz habe ich seine Vorstellung nicht greifen können, weil sie einfach zu abstrakt bleibt. Trotzdem packe ich ein Zitat von ihm aus "Chris Crawford on Game Design "mal hierher, damit man sich etwas vorstellen kann:
Let me explain to you why interactivity is so overwhelmingly important. Let me talk about the human brain. You know, our minds are not passive receptacles, they are active agents. It’s not as if we have a button on the side of our heads and they come along and push the button and the top of our heads flips open and then they take a pitcher full of knowledge and pour it into our skull, and then they close the top of our head, shake well and say, «Congratulations, you’re educated now!». [...] All the higher mammals learn by playing, by doing, by interacting. And indeed, the higher the mammal, the more of its life is spent in play to prepare itself for adulthood. So you can see, this active role of the mind is fundamental to the way we think, it’s wired into our brains. And over the millennia we humans have learned ways to improve upon this. The first improvement is language. [...] So language is a way of allowing one person to learn from many different people. But you know, we’ve also learned to turn that concept around to use language as a way of allowing one person to teach many people. [...] the principle remains the same. And in fact, this is the genesis of art. 'Cause art really is just a way of communicating ideas.
[...] The interactive conversation is effective, but the expository lecture is efficient. That’s the trade-off we make. And over the centuries, we humans have learned that the gains in efficiency outweigh the losses in effectiveness. And therefore we choose expository methods. But the sacrifice remains real! We haven’t ever solved that problem. It’s been with us since the beginning of history. Every single artist has faced this, every communicator, every teacher, every novelist, every sculptor, every singer, every musician, every painter, every single artist through all of human history has been forced to sacrifice effectiveness for efficiency… until now. Because now we have a technology that changes everything. [...] That is the revolutionary nature of the computer. It allows us to automate interactivity to achieve both effectiveness and efficiency. That was the most important part of my dream.
Übrigens: Die Verflechtung von Haupt- und Nebengeschichten sowie den Charakteren gelingt gerade in RDR2 wesentlich besser als GTAIV. All deine Kritik an Letzterem ist richtig, aber man merkt einfach, dass du RDR2 noch nicht weit genug gespielt hast. Es gibt sogar Kommentare der NPC zu dem eigenen Fernbleiben, wenn man länger als erwartet in der Wildnis unterwegs ist. Klar gibt es offensichtlicheTrennungen, man kann über farbliche Markierungen entweder Haupt- oder Nebengeschichte triggern. Aber auch da ist Rockstar hinsichtlich der Verbindung dieser Elemente gereift.