Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe
Verfasst: 28.10.2013 23:11
Es ist vollbracht! Eigentlich wollte ich derjenige sein, der das Teil hier aus seiner Versenkung zieht, aber Almalexian kam mir zuvor. Gemeinheit.
System Shock 2
---Warnung: Dieser Text kann Spoiler enthalten---
An gewisse Titel kann man nur noch schwer unvoreingenommen herangehen. Es ist unmöglich. Ihr Ruf eilt ihnen voraus und setzt den Konsumenten ein wenig unter Druck: Muss mir dieses Spiel eigentlich gefallen? Sollte ich bei Nichtgefallen von meinem Hobby zurücktreten und lieber was anderes machen? Blätterzählen im Laubwald zum Beispiel. Leute, deren Urteil ich schätze weisen diesem Titel unglaubliche Brillanz aus, da kann doch nichts schiefgehen. Nun ja. Diese Personen hatten zumindest die Möglichkeit System Shock 2 nahe seiner Niederkunft zu spielen, als ich noch grün hinter den Ohren war und von der brutalen USK 18 Welt isoliert wurde.
Wer den Fehler macht, sich vorab begeistern zu lassen, obwohl man noch recht wenig Grund dazu hat (kurz: Hype), kann eigentlich nur ernüchtert werden. Es liegt am Spieler, ob er in der Lage ist, die Urteile der älteren Belegschaft des Forums zur Seite zu schieben, als nostalgisches Geschwätz abzutun und mit wachem Geist durch die Von Braun zu streifen, dabei eigene Eindrücke zu sammeln und schlussendlich zu einem ehrlichen Fazit zu kommen. Ob mir das gelingt weiß ich nicht. Ich habe auf jeden Fall nach System Shock 2 die Welt der Egoshooter entdeckt und dabei vielleicht Dinge aufgenommen, die ich beim nachträglichen Bespielen von System Shock 2 gar nicht mehr richtig zu schätzen weiß, weil sie für mich der Normalität entsprechen. Also Dinge, die System Shock 2 etabliert haben könnte. System Shock 2 hat seine Spuren in der Welt der Egoshooter hinterlassen, da gibt es wohl keinen Zweifel. Auch hier im Thread wird immer wieder auf diesen Titel verwiesen. Der Threadersteller spricht sogar vom besten jemals für den PC gecodeten Spiel. Das muss echte Liebe sein. Obstdieb verbat mir sogar mit geschüttelter Faust einen weiteren Vergleich zum geistigen Nachfolger, Bioshock. Beste Chancen also sich kriecherisch an diesen Lobpreisungen zu beteiligen, oder sich ein paar Schläge mit dem Spazierstock einzuhandeln.
Wie gesagt, an System Shock 2 geht man nur schwerlich heran, ohne etwas zu erwarten. Eine Transformation des inneren Spielers, aber mal mindestens das beste Spiel, das man je gespielt hat. So, oder so ähnlich. System Shock 2 ist aus dem Jahre 1999. Cyberstalking verriet mir, dass Archer zu der Zeit ungefähr so alt war, wie ich es heute bin. Ist aber auch nicht mehr, als eine kurzzeitig unterhaltsame Trivialinfo und hilft vielleicht bei der ein oder anderen anstehenden Frechheit.
Es hat also schon das ein oder andere Jährchen hinter sich, dieses Spiel. Und das, wo Spiele doch viel schneller und mitunter recht unangenehm altern und die Welt der Spiele eine massive Veränderung erlebte. In 14 Jahren sind Archer vielleicht ein paar Härchen abhandengekommen. Das ein oder andere Fältchen ziert das Gesicht, eventuell zeigt sich ein Wohlstandsbäuchlein. Spiele haben jedoch andere Lebensproportionen. Ein um vierzehn Jahre gealtertes Spiel entspricht in etwa einem 90 jährigem alten Sack. Und dann kommt die spannende Frage: Wie ist es gealtert? Muss es schon in den Rollstuhl? Fängt es schon an zu riechen, oder zerfällt es doch gleich zu Staub? Oder ist es einer dieser Superrentner? Die den ganzen Tag noch quietschfidel durch den Garten ackern, durch geistige Jugend auffallen und mit scheinbarer Unsterblichkeit gesegnet sind.
Für das Auge bietet System Shock 2 so viel sei gesagt aus heutiger Sicht bedauerlich wenig. Nein, man bekommt glatt Lust seinen Staubsauger auszupacken und diese furchtbare Staubschicht abzusaugen, die sich überall auf der Von Braun breit gemacht hat. Hausstaub kann ja Allergien und solch fürchterliches Zeug auslösen. Im Internet finden sich allerdings die einen oder anderen Verschönerungsversuche. „Hübschere“ Figuren, schärfere Texturen, mehr Kontrast. Aber wie beim Metal konsumiert man alles am besten true. Ungeschminkt. So hab ich es dann auch gemacht. Es spielt für mich auch insofern keine Rolle, da die Modifikationen die optischen Probleme, die ich mit System Shock 2 habe nicht beheben, weil diese eher designtechnischer Natur sind. Da wäre zum einen das (um es höflich auszudrücken) sehr konservative Figurendesign, das heute keinen mehr aus den Socken hauen kann, würde ich mal behaupten und dann auch die absolute Kloneritis unter der verbliebenen menschlichen Besatzung. Wie viele Figurendesigns gibt es für die Menschheit? 2?3? Mann, Frau und dann vielleicht mal eine andere Klamotte. Fairnesshalber ließe sich das auf das beträchtliche Alter zurückführen, aber diese Ausrede ist mir zu langweilig. Mit Licht und Schatten wird nicht gearbeitet, weil es die Engine nicht kann, schätze ich. Wäre aber verdammt geil gewesen. Überhaupt: Was könnte man hier mit einer frischen Engine für ein Erlebnis für junge Menschen schaffen? Gänsehaut. Also das schaffen, das jüngere Menschen 99 auf der Von Braun erfuhren, als die Technik noch nicht staubig vor sich hin moderte und sozusagen den Status quo erfüllte. Das Problem des Zuspätkommers halt. Nun musste ich eben damit leben, das viele schaurige Bildkompositionen, die das Spiel zweifelsohne bietet nicht mehr wirklich einschlugen. Mittlerweile habe ich das alles schon eindrucksvoller gesehen.
Auch akustisch bietet System Shock 2 an einer Stelle für meinen Geschmack zu wenig. Mit antiquierter Grafik kann ich leben. Sie ist halt bedauerlich, nicht mehr. Die Vertonung der Audiologs geht absolut in Ordnung und die Umgebungsgeräusche fallen auch nicht sonderlich negativ auf. Aber was für ein Soundtrack… Gedudel. Schön, die Subjektivitätsskala explodiert gerade, aber bei mir kommt da nichts als Langeweile rüber. Auch elektronische Soundtracks können sehr atmosphärisch sein. Der von Deus Ex: Human Revolution hat mir sogar in dem Maße entsprochen, dass ich ihn später gekauft habe. Und der der Soundtrack des geistigen Nachfolgers, also Bioshock, ist auch spitze, weil ich ihn als sehr emotional empfinde. Er vermittelt dem Spieler Eindrücke, die auch für den Soundtrack von System Shock 2 interessant hätten sein können. Tragische Melodien von Einsamkeit und Untergang. Ich hätte mir vor allem auch deshalb einen Soundtrack gewünscht, der diese Töne anspielt, weil System Shock 2 diese Eindrücke spielerisch und vom ganzen Setting her teilweise so stark aufbaut.
Ein Agent auf dem ersten Überlichtraumschiff, das die Menschheit gebaut hat. Ein riesiger Trümmer, der in den unendlichen Weiten seine Kreise zieht. Ein Schiff, auf dem alles schief lief, was schieflaufen konnte. Parasitäre Lebensformen übernehmen die Menschen, KIs laufen Amok und bedrohen die gesamte Menschheit. Was sind das für Dimensionen? Wie klein und unbedeutend kommt sich das Individuum angesichts dieser Größenordnungen vor?
Dem Chaos gegenüber steht der vielleicht letzte gesunde Mensch auf diesem nach Werner von Braun benannten Schiff. Aber davon ahnt meine Spielfigur natürlich noch nichts. Er erwacht aus einem kryogenen Schlaf und erfährt von einer Gönnerin – Dr. Polito -, dass auf der von Braun die Hölle losgebrochen ist, dass er ohne sein Wissen Implantate eingesetzt bekam und erhält erste ersten Anweisungen, während ich mich über die Tastaturbelegung wundere und erst mal in die Einstellungen flüchte, um zu meiner gewohnten WASD Steuerung zu gelangen. Was auf der Von Braun eigentlich passiert ist, erfährt der Spieler über verstreute Audiologs. Er erfährt nach und nach, dass die von Braun von der Masse (the many) befallen ist. Eine parasitäre Lebensform, die über Würmer in die Menschen gelang und sich ihrer bemächtigte. Diese Drohnen stellen einen Großteil der zu entsorgenden Gegner dar. Aber die Masse besteht nicht nur aus diesen bemitleidenswerten Gesellen, sondern auch aus anderen Daseinsformen, die im Namen der Masse auf Menschenjagt gehen. Aber wie schon bemängelt fallen diese Daseinsformen nicht dadurch auf, dass sie optisch besonders spektakulär wären. Ganz klassische Kost.
Auf jeden Fall haben die Mitglieder der Masse etwas gegen den freien Willen und preisen unaufhörlich die Freuden der Gemeinschaft an. Individuen werden zur Dissonanz verklärt. Unaufhörlich murmeln die Gegner hübsche Einzeiler wie „Bringt die Dissonanz zum Schweigen“ vor sich hin und warnen mich vor der Heimtücke der Maschinenmutter. Was das zu bedeuten hat, erfahre ich aber erst später, nach dem nicht ganz unerwarteten Twist auf Deck 4. Wir müssen ja noch Shodan treffen, denn es handelt sich um System Shock 2. Sie ist das Covergirl.
Erzählerisch muss ich sagen, dass ich von System Shock 2 etwas enttäuscht war. Sicher, das grundsätzliche Szenario ist ungemein spannend. Trotzdem kann ich das Verhalten meiner Spielfigur nicht richtig nachvollziehen. Was motiviert sie dazu mit dem offensichtlich Bösen zu kooperieren, nur um dann schlussendlich doch die Hand gegen Shodan zu richten. Ich tue alles, was diese Bestie von künstlicher Intelligenz von mir verlangt. Gut, anfangs scheinen ihre Ziele mit dem scheinbar Vernünftigen (die Masse zerstören) einherzugehen, aber ist meine Figur wirklich so naiv, keine Hintergedanken zu vermuten? Regt sich bei all den Beleidigungen und offensichtlicher Geringschätzung der menschlichen Rasse kein Argwohn? Vielleicht misstraut meine Figur Shodan auch und verbündet sich nur aus Mittel zum Zweck mit ihr, um die Masse vernichten zu können, schon mit dem Hintergedanken die KI, von der man weder weiß, wo sie ihren Sitz hat, noch abschätzen kann, wohin der Befehlsgehorsam letztlich führen wird, später anzugreifen. So wirkt die letztendliche Konfrontation mit Shodan schon irgendwie wie ein glücklicher Zufall. Sie hat dank mir die Macht, die Realität nach ihrer Vorstellung zu formen und doch komme ich mühelos zu ihr. Etwas konstruiert in meinen Augen.
Trotzdem, und auch hier finde ich einen Vergleich zu Bioshock gar nicht mal unangebracht, lädt die Geschichte zum Nachdenken ein, auch wenn sie wie in Bioshock, etwas holprig erzählt wird. Es ist schön, wenn man von einem Spiel die Möglichkeit gegeben bekommt, sich seine Gedanken zu machen: Was wollen die Macher mir erzählen? Und diese Überlegungen sind glaube ich recht ergebnisoffen. Es gibt viele Interpretationsmöglichkeiten, wie ich finde. Das Spiel behandelt einfach grundsätzlich interessante Konzepte. Alleine die Masse. Erscheint sie doch ziemlich widerwärtig. Eine gewaltige symbiotische Gesellschaft, die widerstandslos einem zentralen Willen gehorcht. Wer nicht lacht wird tot gemacht. Das weckt unangenehme historische Assoziationen. Der freiheitsliebende Mitteleuropäer hat hier sein Feindbild gefunden. Kampf dem Faschismus! Ist die KI Shodan hier die bessere Alternative? Immerhin drückt sie mit Aussagen wie „du bist ein bemerkenswertes Exemplar Deiner niederen Gattung“ wahre Menschenliebe aus. Shodan ist völlig auf sich, auf ihren Gewinn konzentriert. Sie ist nach der Definition egoistisch, intrigant und vor allem selbstverliebt bis in den letzten Bit. Selbstaufgabe wie ihn ihre Schöpfung die Masse betreibt liegt ihr fern. Allerdings ist sie auf solche Marionetten, oder zumindest leichtgläubige Trottel, die ihren Willen ausführen angewiesen und scheut hier vor keinem Opfer zurück. Sie züchtet sich immer wieder ihre „Massen“, wie sie jeder Führer braucht und wenn sie ihrer überdrüssig oder hinderlich ist, wird sie vernichtet. Also sind diese Über-KIs auch irgendwo böse. Mit solchen Egozentrikern will man doch eigentlich auch nichts zu tun haben. Man sollte nie etwas trauen, das selbst denken kann und man nicht sehen kann, wo es sein Hirn hat.
System Shock 2
---Warnung: Dieser Text kann Spoiler enthalten---
An gewisse Titel kann man nur noch schwer unvoreingenommen herangehen. Es ist unmöglich. Ihr Ruf eilt ihnen voraus und setzt den Konsumenten ein wenig unter Druck: Muss mir dieses Spiel eigentlich gefallen? Sollte ich bei Nichtgefallen von meinem Hobby zurücktreten und lieber was anderes machen? Blätterzählen im Laubwald zum Beispiel. Leute, deren Urteil ich schätze weisen diesem Titel unglaubliche Brillanz aus, da kann doch nichts schiefgehen. Nun ja. Diese Personen hatten zumindest die Möglichkeit System Shock 2 nahe seiner Niederkunft zu spielen, als ich noch grün hinter den Ohren war und von der brutalen USK 18 Welt isoliert wurde.
Wer den Fehler macht, sich vorab begeistern zu lassen, obwohl man noch recht wenig Grund dazu hat (kurz: Hype), kann eigentlich nur ernüchtert werden. Es liegt am Spieler, ob er in der Lage ist, die Urteile der älteren Belegschaft des Forums zur Seite zu schieben, als nostalgisches Geschwätz abzutun und mit wachem Geist durch die Von Braun zu streifen, dabei eigene Eindrücke zu sammeln und schlussendlich zu einem ehrlichen Fazit zu kommen. Ob mir das gelingt weiß ich nicht. Ich habe auf jeden Fall nach System Shock 2 die Welt der Egoshooter entdeckt und dabei vielleicht Dinge aufgenommen, die ich beim nachträglichen Bespielen von System Shock 2 gar nicht mehr richtig zu schätzen weiß, weil sie für mich der Normalität entsprechen. Also Dinge, die System Shock 2 etabliert haben könnte. System Shock 2 hat seine Spuren in der Welt der Egoshooter hinterlassen, da gibt es wohl keinen Zweifel. Auch hier im Thread wird immer wieder auf diesen Titel verwiesen. Der Threadersteller spricht sogar vom besten jemals für den PC gecodeten Spiel. Das muss echte Liebe sein. Obstdieb verbat mir sogar mit geschüttelter Faust einen weiteren Vergleich zum geistigen Nachfolger, Bioshock. Beste Chancen also sich kriecherisch an diesen Lobpreisungen zu beteiligen, oder sich ein paar Schläge mit dem Spazierstock einzuhandeln.
Wie gesagt, an System Shock 2 geht man nur schwerlich heran, ohne etwas zu erwarten. Eine Transformation des inneren Spielers, aber mal mindestens das beste Spiel, das man je gespielt hat. So, oder so ähnlich. System Shock 2 ist aus dem Jahre 1999. Cyberstalking verriet mir, dass Archer zu der Zeit ungefähr so alt war, wie ich es heute bin. Ist aber auch nicht mehr, als eine kurzzeitig unterhaltsame Trivialinfo und hilft vielleicht bei der ein oder anderen anstehenden Frechheit.
Es hat also schon das ein oder andere Jährchen hinter sich, dieses Spiel. Und das, wo Spiele doch viel schneller und mitunter recht unangenehm altern und die Welt der Spiele eine massive Veränderung erlebte. In 14 Jahren sind Archer vielleicht ein paar Härchen abhandengekommen. Das ein oder andere Fältchen ziert das Gesicht, eventuell zeigt sich ein Wohlstandsbäuchlein. Spiele haben jedoch andere Lebensproportionen. Ein um vierzehn Jahre gealtertes Spiel entspricht in etwa einem 90 jährigem alten Sack. Und dann kommt die spannende Frage: Wie ist es gealtert? Muss es schon in den Rollstuhl? Fängt es schon an zu riechen, oder zerfällt es doch gleich zu Staub? Oder ist es einer dieser Superrentner? Die den ganzen Tag noch quietschfidel durch den Garten ackern, durch geistige Jugend auffallen und mit scheinbarer Unsterblichkeit gesegnet sind.
Für das Auge bietet System Shock 2 so viel sei gesagt aus heutiger Sicht bedauerlich wenig. Nein, man bekommt glatt Lust seinen Staubsauger auszupacken und diese furchtbare Staubschicht abzusaugen, die sich überall auf der Von Braun breit gemacht hat. Hausstaub kann ja Allergien und solch fürchterliches Zeug auslösen. Im Internet finden sich allerdings die einen oder anderen Verschönerungsversuche. „Hübschere“ Figuren, schärfere Texturen, mehr Kontrast. Aber wie beim Metal konsumiert man alles am besten true. Ungeschminkt. So hab ich es dann auch gemacht. Es spielt für mich auch insofern keine Rolle, da die Modifikationen die optischen Probleme, die ich mit System Shock 2 habe nicht beheben, weil diese eher designtechnischer Natur sind. Da wäre zum einen das (um es höflich auszudrücken) sehr konservative Figurendesign, das heute keinen mehr aus den Socken hauen kann, würde ich mal behaupten und dann auch die absolute Kloneritis unter der verbliebenen menschlichen Besatzung. Wie viele Figurendesigns gibt es für die Menschheit? 2?3? Mann, Frau und dann vielleicht mal eine andere Klamotte. Fairnesshalber ließe sich das auf das beträchtliche Alter zurückführen, aber diese Ausrede ist mir zu langweilig. Mit Licht und Schatten wird nicht gearbeitet, weil es die Engine nicht kann, schätze ich. Wäre aber verdammt geil gewesen. Überhaupt: Was könnte man hier mit einer frischen Engine für ein Erlebnis für junge Menschen schaffen? Gänsehaut. Also das schaffen, das jüngere Menschen 99 auf der Von Braun erfuhren, als die Technik noch nicht staubig vor sich hin moderte und sozusagen den Status quo erfüllte. Das Problem des Zuspätkommers halt. Nun musste ich eben damit leben, das viele schaurige Bildkompositionen, die das Spiel zweifelsohne bietet nicht mehr wirklich einschlugen. Mittlerweile habe ich das alles schon eindrucksvoller gesehen.
Auch akustisch bietet System Shock 2 an einer Stelle für meinen Geschmack zu wenig. Mit antiquierter Grafik kann ich leben. Sie ist halt bedauerlich, nicht mehr. Die Vertonung der Audiologs geht absolut in Ordnung und die Umgebungsgeräusche fallen auch nicht sonderlich negativ auf. Aber was für ein Soundtrack… Gedudel. Schön, die Subjektivitätsskala explodiert gerade, aber bei mir kommt da nichts als Langeweile rüber. Auch elektronische Soundtracks können sehr atmosphärisch sein. Der von Deus Ex: Human Revolution hat mir sogar in dem Maße entsprochen, dass ich ihn später gekauft habe. Und der der Soundtrack des geistigen Nachfolgers, also Bioshock, ist auch spitze, weil ich ihn als sehr emotional empfinde. Er vermittelt dem Spieler Eindrücke, die auch für den Soundtrack von System Shock 2 interessant hätten sein können. Tragische Melodien von Einsamkeit und Untergang. Ich hätte mir vor allem auch deshalb einen Soundtrack gewünscht, der diese Töne anspielt, weil System Shock 2 diese Eindrücke spielerisch und vom ganzen Setting her teilweise so stark aufbaut.
Ein Agent auf dem ersten Überlichtraumschiff, das die Menschheit gebaut hat. Ein riesiger Trümmer, der in den unendlichen Weiten seine Kreise zieht. Ein Schiff, auf dem alles schief lief, was schieflaufen konnte. Parasitäre Lebensformen übernehmen die Menschen, KIs laufen Amok und bedrohen die gesamte Menschheit. Was sind das für Dimensionen? Wie klein und unbedeutend kommt sich das Individuum angesichts dieser Größenordnungen vor?
Dem Chaos gegenüber steht der vielleicht letzte gesunde Mensch auf diesem nach Werner von Braun benannten Schiff. Aber davon ahnt meine Spielfigur natürlich noch nichts. Er erwacht aus einem kryogenen Schlaf und erfährt von einer Gönnerin – Dr. Polito -, dass auf der von Braun die Hölle losgebrochen ist, dass er ohne sein Wissen Implantate eingesetzt bekam und erhält erste ersten Anweisungen, während ich mich über die Tastaturbelegung wundere und erst mal in die Einstellungen flüchte, um zu meiner gewohnten WASD Steuerung zu gelangen. Was auf der Von Braun eigentlich passiert ist, erfährt der Spieler über verstreute Audiologs. Er erfährt nach und nach, dass die von Braun von der Masse (the many) befallen ist. Eine parasitäre Lebensform, die über Würmer in die Menschen gelang und sich ihrer bemächtigte. Diese Drohnen stellen einen Großteil der zu entsorgenden Gegner dar. Aber die Masse besteht nicht nur aus diesen bemitleidenswerten Gesellen, sondern auch aus anderen Daseinsformen, die im Namen der Masse auf Menschenjagt gehen. Aber wie schon bemängelt fallen diese Daseinsformen nicht dadurch auf, dass sie optisch besonders spektakulär wären. Ganz klassische Kost.
Auf jeden Fall haben die Mitglieder der Masse etwas gegen den freien Willen und preisen unaufhörlich die Freuden der Gemeinschaft an. Individuen werden zur Dissonanz verklärt. Unaufhörlich murmeln die Gegner hübsche Einzeiler wie „Bringt die Dissonanz zum Schweigen“ vor sich hin und warnen mich vor der Heimtücke der Maschinenmutter. Was das zu bedeuten hat, erfahre ich aber erst später, nach dem nicht ganz unerwarteten Twist auf Deck 4. Wir müssen ja noch Shodan treffen, denn es handelt sich um System Shock 2. Sie ist das Covergirl.
Erzählerisch muss ich sagen, dass ich von System Shock 2 etwas enttäuscht war. Sicher, das grundsätzliche Szenario ist ungemein spannend. Trotzdem kann ich das Verhalten meiner Spielfigur nicht richtig nachvollziehen. Was motiviert sie dazu mit dem offensichtlich Bösen zu kooperieren, nur um dann schlussendlich doch die Hand gegen Shodan zu richten. Ich tue alles, was diese Bestie von künstlicher Intelligenz von mir verlangt. Gut, anfangs scheinen ihre Ziele mit dem scheinbar Vernünftigen (die Masse zerstören) einherzugehen, aber ist meine Figur wirklich so naiv, keine Hintergedanken zu vermuten? Regt sich bei all den Beleidigungen und offensichtlicher Geringschätzung der menschlichen Rasse kein Argwohn? Vielleicht misstraut meine Figur Shodan auch und verbündet sich nur aus Mittel zum Zweck mit ihr, um die Masse vernichten zu können, schon mit dem Hintergedanken die KI, von der man weder weiß, wo sie ihren Sitz hat, noch abschätzen kann, wohin der Befehlsgehorsam letztlich führen wird, später anzugreifen. So wirkt die letztendliche Konfrontation mit Shodan schon irgendwie wie ein glücklicher Zufall. Sie hat dank mir die Macht, die Realität nach ihrer Vorstellung zu formen und doch komme ich mühelos zu ihr. Etwas konstruiert in meinen Augen.
Trotzdem, und auch hier finde ich einen Vergleich zu Bioshock gar nicht mal unangebracht, lädt die Geschichte zum Nachdenken ein, auch wenn sie wie in Bioshock, etwas holprig erzählt wird. Es ist schön, wenn man von einem Spiel die Möglichkeit gegeben bekommt, sich seine Gedanken zu machen: Was wollen die Macher mir erzählen? Und diese Überlegungen sind glaube ich recht ergebnisoffen. Es gibt viele Interpretationsmöglichkeiten, wie ich finde. Das Spiel behandelt einfach grundsätzlich interessante Konzepte. Alleine die Masse. Erscheint sie doch ziemlich widerwärtig. Eine gewaltige symbiotische Gesellschaft, die widerstandslos einem zentralen Willen gehorcht. Wer nicht lacht wird tot gemacht. Das weckt unangenehme historische Assoziationen. Der freiheitsliebende Mitteleuropäer hat hier sein Feindbild gefunden. Kampf dem Faschismus! Ist die KI Shodan hier die bessere Alternative? Immerhin drückt sie mit Aussagen wie „du bist ein bemerkenswertes Exemplar Deiner niederen Gattung“ wahre Menschenliebe aus. Shodan ist völlig auf sich, auf ihren Gewinn konzentriert. Sie ist nach der Definition egoistisch, intrigant und vor allem selbstverliebt bis in den letzten Bit. Selbstaufgabe wie ihn ihre Schöpfung die Masse betreibt liegt ihr fern. Allerdings ist sie auf solche Marionetten, oder zumindest leichtgläubige Trottel, die ihren Willen ausführen angewiesen und scheut hier vor keinem Opfer zurück. Sie züchtet sich immer wieder ihre „Massen“, wie sie jeder Führer braucht und wenn sie ihrer überdrüssig oder hinderlich ist, wird sie vernichtet. Also sind diese Über-KIs auch irgendwo böse. Mit solchen Egozentrikern will man doch eigentlich auch nichts zu tun haben. Man sollte nie etwas trauen, das selbst denken kann und man nicht sehen kann, wo es sein Hirn hat.