Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

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Deuterium
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Deuterium »

Es ist vollbracht! Eigentlich wollte ich derjenige sein, der das Teil hier aus seiner Versenkung zieht, aber Almalexian kam mir zuvor. Gemeinheit.


System Shock 2
---Warnung: Dieser Text kann Spoiler enthalten---

An gewisse Titel kann man nur noch schwer unvoreingenommen herangehen. Es ist unmöglich. Ihr Ruf eilt ihnen voraus und setzt den Konsumenten ein wenig unter Druck: Muss mir dieses Spiel eigentlich gefallen? Sollte ich bei Nichtgefallen von meinem Hobby zurücktreten und lieber was anderes machen? Blätterzählen im Laubwald zum Beispiel. Leute, deren Urteil ich schätze weisen diesem Titel unglaubliche Brillanz aus, da kann doch nichts schiefgehen. Nun ja. Diese Personen hatten zumindest die Möglichkeit System Shock 2 nahe seiner Niederkunft zu spielen, als ich noch grün hinter den Ohren war und von der brutalen USK 18 Welt isoliert wurde.
Wer den Fehler macht, sich vorab begeistern zu lassen, obwohl man noch recht wenig Grund dazu hat (kurz: Hype), kann eigentlich nur ernüchtert werden. Es liegt am Spieler, ob er in der Lage ist, die Urteile der älteren Belegschaft des Forums zur Seite zu schieben, als nostalgisches Geschwätz abzutun und mit wachem Geist durch die Von Braun zu streifen, dabei eigene Eindrücke zu sammeln und schlussendlich zu einem ehrlichen Fazit zu kommen. Ob mir das gelingt weiß ich nicht. Ich habe auf jeden Fall nach System Shock 2 die Welt der Egoshooter entdeckt und dabei vielleicht Dinge aufgenommen, die ich beim nachträglichen Bespielen von System Shock 2 gar nicht mehr richtig zu schätzen weiß, weil sie für mich der Normalität entsprechen. Also Dinge, die System Shock 2 etabliert haben könnte. System Shock 2 hat seine Spuren in der Welt der Egoshooter hinterlassen, da gibt es wohl keinen Zweifel. Auch hier im Thread wird immer wieder auf diesen Titel verwiesen. Der Threadersteller spricht sogar vom besten jemals für den PC gecodeten Spiel. Das muss echte Liebe sein. Obstdieb verbat mir sogar mit geschüttelter Faust einen weiteren Vergleich zum geistigen Nachfolger, Bioshock. Beste Chancen also sich kriecherisch an diesen Lobpreisungen zu beteiligen, oder sich ein paar Schläge mit dem Spazierstock einzuhandeln.

Wie gesagt, an System Shock 2 geht man nur schwerlich heran, ohne etwas zu erwarten. Eine Transformation des inneren Spielers, aber mal mindestens das beste Spiel, das man je gespielt hat. So, oder so ähnlich. System Shock 2 ist aus dem Jahre 1999. Cyberstalking verriet mir, dass Archer zu der Zeit ungefähr so alt war, wie ich es heute bin. Ist aber auch nicht mehr, als eine kurzzeitig unterhaltsame Trivialinfo und hilft vielleicht bei der ein oder anderen anstehenden Frechheit.
Es hat also schon das ein oder andere Jährchen hinter sich, dieses Spiel. Und das, wo Spiele doch viel schneller und mitunter recht unangenehm altern und die Welt der Spiele eine massive Veränderung erlebte. In 14 Jahren sind Archer vielleicht ein paar Härchen abhandengekommen. Das ein oder andere Fältchen ziert das Gesicht, eventuell zeigt sich ein Wohlstandsbäuchlein. Spiele haben jedoch andere Lebensproportionen. Ein um vierzehn Jahre gealtertes Spiel entspricht in etwa einem 90 jährigem alten Sack. Und dann kommt die spannende Frage: Wie ist es gealtert? Muss es schon in den Rollstuhl? Fängt es schon an zu riechen, oder zerfällt es doch gleich zu Staub? Oder ist es einer dieser Superrentner? Die den ganzen Tag noch quietschfidel durch den Garten ackern, durch geistige Jugend auffallen und mit scheinbarer Unsterblichkeit gesegnet sind.

Für das Auge bietet System Shock 2 so viel sei gesagt aus heutiger Sicht bedauerlich wenig. Nein, man bekommt glatt Lust seinen Staubsauger auszupacken und diese furchtbare Staubschicht abzusaugen, die sich überall auf der Von Braun breit gemacht hat. Hausstaub kann ja Allergien und solch fürchterliches Zeug auslösen. Im Internet finden sich allerdings die einen oder anderen Verschönerungsversuche. „Hübschere“ Figuren, schärfere Texturen, mehr Kontrast. Aber wie beim Metal konsumiert man alles am besten true. Ungeschminkt. So hab ich es dann auch gemacht. Es spielt für mich auch insofern keine Rolle, da die Modifikationen die optischen Probleme, die ich mit System Shock 2 habe nicht beheben, weil diese eher designtechnischer Natur sind. Da wäre zum einen das (um es höflich auszudrücken) sehr konservative Figurendesign, das heute keinen mehr aus den Socken hauen kann, würde ich mal behaupten und dann auch die absolute Kloneritis unter der verbliebenen menschlichen Besatzung. Wie viele Figurendesigns gibt es für die Menschheit? 2?3? Mann, Frau und dann vielleicht mal eine andere Klamotte. Fairnesshalber ließe sich das auf das beträchtliche Alter zurückführen, aber diese Ausrede ist mir zu langweilig. Mit Licht und Schatten wird nicht gearbeitet, weil es die Engine nicht kann, schätze ich. Wäre aber verdammt geil gewesen. Überhaupt: Was könnte man hier mit einer frischen Engine für ein Erlebnis für junge Menschen schaffen? Gänsehaut. Also das schaffen, das jüngere Menschen 99 auf der Von Braun erfuhren, als die Technik noch nicht staubig vor sich hin moderte und sozusagen den Status quo erfüllte. Das Problem des Zuspätkommers halt. Nun musste ich eben damit leben, das viele schaurige Bildkompositionen, die das Spiel zweifelsohne bietet nicht mehr wirklich einschlugen. Mittlerweile habe ich das alles schon eindrucksvoller gesehen.

Auch akustisch bietet System Shock 2 an einer Stelle für meinen Geschmack zu wenig. Mit antiquierter Grafik kann ich leben. Sie ist halt bedauerlich, nicht mehr. Die Vertonung der Audiologs geht absolut in Ordnung und die Umgebungsgeräusche fallen auch nicht sonderlich negativ auf. Aber was für ein Soundtrack… Gedudel. Schön, die Subjektivitätsskala explodiert gerade, aber bei mir kommt da nichts als Langeweile rüber. Auch elektronische Soundtracks können sehr atmosphärisch sein. Der von Deus Ex: Human Revolution hat mir sogar in dem Maße entsprochen, dass ich ihn später gekauft habe. Und der der Soundtrack des geistigen Nachfolgers, also Bioshock, ist auch spitze, weil ich ihn als sehr emotional empfinde. Er vermittelt dem Spieler Eindrücke, die auch für den Soundtrack von System Shock 2 interessant hätten sein können. Tragische Melodien von Einsamkeit und Untergang. Ich hätte mir vor allem auch deshalb einen Soundtrack gewünscht, der diese Töne anspielt, weil System Shock 2 diese Eindrücke spielerisch und vom ganzen Setting her teilweise so stark aufbaut.

Ein Agent auf dem ersten Überlichtraumschiff, das die Menschheit gebaut hat. Ein riesiger Trümmer, der in den unendlichen Weiten seine Kreise zieht. Ein Schiff, auf dem alles schief lief, was schieflaufen konnte. Parasitäre Lebensformen übernehmen die Menschen, KIs laufen Amok und bedrohen die gesamte Menschheit. Was sind das für Dimensionen? Wie klein und unbedeutend kommt sich das Individuum angesichts dieser Größenordnungen vor?
Dem Chaos gegenüber steht der vielleicht letzte gesunde Mensch auf diesem nach Werner von Braun benannten Schiff. Aber davon ahnt meine Spielfigur natürlich noch nichts. Er erwacht aus einem kryogenen Schlaf und erfährt von einer Gönnerin – Dr. Polito -, dass auf der von Braun die Hölle losgebrochen ist, dass er ohne sein Wissen Implantate eingesetzt bekam und erhält erste ersten Anweisungen, während ich mich über die Tastaturbelegung wundere und erst mal in die Einstellungen flüchte, um zu meiner gewohnten WASD Steuerung zu gelangen. Was auf der Von Braun eigentlich passiert ist, erfährt der Spieler über verstreute Audiologs. Er erfährt nach und nach, dass die von Braun von der Masse (the many) befallen ist. Eine parasitäre Lebensform, die über Würmer in die Menschen gelang und sich ihrer bemächtigte. Diese Drohnen stellen einen Großteil der zu entsorgenden Gegner dar. Aber die Masse besteht nicht nur aus diesen bemitleidenswerten Gesellen, sondern auch aus anderen Daseinsformen, die im Namen der Masse auf Menschenjagt gehen. Aber wie schon bemängelt fallen diese Daseinsformen nicht dadurch auf, dass sie optisch besonders spektakulär wären. Ganz klassische Kost.
Auf jeden Fall haben die Mitglieder der Masse etwas gegen den freien Willen und preisen unaufhörlich die Freuden der Gemeinschaft an. Individuen werden zur Dissonanz verklärt. Unaufhörlich murmeln die Gegner hübsche Einzeiler wie „Bringt die Dissonanz zum Schweigen“ vor sich hin und warnen mich vor der Heimtücke der Maschinenmutter. Was das zu bedeuten hat, erfahre ich aber erst später, nach dem nicht ganz unerwarteten Twist auf Deck 4. Wir müssen ja noch Shodan treffen, denn es handelt sich um System Shock 2. Sie ist das Covergirl.

Erzählerisch muss ich sagen, dass ich von System Shock 2 etwas enttäuscht war. Sicher, das grundsätzliche Szenario ist ungemein spannend. Trotzdem kann ich das Verhalten meiner Spielfigur nicht richtig nachvollziehen. Was motiviert sie dazu mit dem offensichtlich Bösen zu kooperieren, nur um dann schlussendlich doch die Hand gegen Shodan zu richten. Ich tue alles, was diese Bestie von künstlicher Intelligenz von mir verlangt. Gut, anfangs scheinen ihre Ziele mit dem scheinbar Vernünftigen (die Masse zerstören) einherzugehen, aber ist meine Figur wirklich so naiv, keine Hintergedanken zu vermuten? Regt sich bei all den Beleidigungen und offensichtlicher Geringschätzung der menschlichen Rasse kein Argwohn? Vielleicht misstraut meine Figur Shodan auch und verbündet sich nur aus Mittel zum Zweck mit ihr, um die Masse vernichten zu können, schon mit dem Hintergedanken die KI, von der man weder weiß, wo sie ihren Sitz hat, noch abschätzen kann, wohin der Befehlsgehorsam letztlich führen wird, später anzugreifen. So wirkt die letztendliche Konfrontation mit Shodan schon irgendwie wie ein glücklicher Zufall. Sie hat dank mir die Macht, die Realität nach ihrer Vorstellung zu formen und doch komme ich mühelos zu ihr. Etwas konstruiert in meinen Augen.
Trotzdem, und auch hier finde ich einen Vergleich zu Bioshock gar nicht mal unangebracht, lädt die Geschichte zum Nachdenken ein, auch wenn sie wie in Bioshock, etwas holprig erzählt wird. Es ist schön, wenn man von einem Spiel die Möglichkeit gegeben bekommt, sich seine Gedanken zu machen: Was wollen die Macher mir erzählen? Und diese Überlegungen sind glaube ich recht ergebnisoffen. Es gibt viele Interpretationsmöglichkeiten, wie ich finde. Das Spiel behandelt einfach grundsätzlich interessante Konzepte. Alleine die Masse. Erscheint sie doch ziemlich widerwärtig. Eine gewaltige symbiotische Gesellschaft, die widerstandslos einem zentralen Willen gehorcht. Wer nicht lacht wird tot gemacht. Das weckt unangenehme historische Assoziationen. Der freiheitsliebende Mitteleuropäer hat hier sein Feindbild gefunden. Kampf dem Faschismus! Ist die KI Shodan hier die bessere Alternative? Immerhin drückt sie mit Aussagen wie „du bist ein bemerkenswertes Exemplar Deiner niederen Gattung“ wahre Menschenliebe aus. Shodan ist völlig auf sich, auf ihren Gewinn konzentriert. Sie ist nach der Definition egoistisch, intrigant und vor allem selbstverliebt bis in den letzten Bit. Selbstaufgabe wie ihn ihre Schöpfung die Masse betreibt liegt ihr fern. Allerdings ist sie auf solche Marionetten, oder zumindest leichtgläubige Trottel, die ihren Willen ausführen angewiesen und scheut hier vor keinem Opfer zurück. Sie züchtet sich immer wieder ihre „Massen“, wie sie jeder Führer braucht und wenn sie ihrer überdrüssig oder hinderlich ist, wird sie vernichtet. Also sind diese Über-KIs auch irgendwo böse. Mit solchen Egozentrikern will man doch eigentlich auch nichts zu tun haben. Man sollte nie etwas trauen, das selbst denken kann und man nicht sehen kann, wo es sein Hirn hat.
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Deuterium
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Deuterium »

Und doch lässt sich die Menschheit immer gerne das Denken von Maschinen abnehmen. Man merkt schnell, wie die einfachsten mathematischen Konzepte in Vergessenheit geraten, wenn man sich an seinen freundlichen Taschenrechner gewöhnt hat. Ergebnisse werden gedankenlos angenommen und wiedergegeben, auch wenn das Ergebnis eigentlich schon beim ersten Anblick Übelkeit erregen sollte. Wir sind schon irgendwo abhängig und sehr vertrauensselig gegenüber unseren technischen Begleitern. Und was, wenn uns der Taschenrechner plötzlich nicht mehr freundlich gesinnt ist, sondern uns ans Leder will? Würden wir den Braten riechen? Zugegeben, mein Taschenrechner ist nur ein Taschenrechner und kein Supercomputer mit einer KI, aber in der Welt haben Computersysteme mittlerweile weitreichenderen Einfluss. Allerdings existiert die Paranoia gegenüber KIs wahrscheinlich schon seit dem ersten Sciencefiction Roman, der sich mit solchen Konzepten befasste und stellt damit kein Neuland mehr dar. Vielleicht will System Shock 2 dem Spieler auch nur nahelegen, stehts zu hinterfragen, wem die eigenen Handlungen dienen und inwieweit man bereit ist, eigene Freiheit für ein fremdes Ziel aufzugeben. Oft erweisen sich die Ziele einer Bewegung als die Ziele Weniger. Für mich hat System Shock 2 auf jeden Fall viel mit Freiheit zu tun. Und das nicht nur in Hinsicht auf die Story.

System Shock 2 steht in meinen Augen für eine spielerische Freiheit, wie ich sie bis dahin nur höchst selten erfuhr. Diese Freiheit geht sogar so weit, dass ich mich regelrecht überfahren fühlte. Ich war regelrecht überfordert. Nur die Talentauswahl erwies sich schon als Herkulesaufgabe, wobei ich bei solchen Sachen ohnehin eine eklatante Schwäche habe. Wie verteile ich meine Talente? Was will ich sein? Das Spiel ermöglicht dem Spieler weitreichende Entscheidungen über seinen Spielstil und bestraft ihn, wenn er sich im Talentbaum verzettelt. Denn alles könnt ihr nicht werden! Selbst wenn man sich für eine grobe Richtung entschieden hat, ist noch die Möglichkeit einer weiteren Spezialisierung gegeben. Waffe ist nicht gleich Waffe! Wollt ihr mit konventionellen, schweren, Laser- oder Alienwaffen arbeiten, braucht ihr die entsprechende Skillung. Ihr könnt aber auch sagen: Ich will weniger Ballern, sondern fein hinterfotzig mit Psykräften arbeiten. Übrigens meine erste Wahl. Es macht bei den entsprechenden Fähigkeiten einfach zu viel Spaß, einen Gegner als mentale Geisel zu nehmen und ihn für sich kämpfen zu lassen, nur um ihn anschließend schon leicht angeschlagen hinterrücks zu erschlagen. Im letzten großen Level bin ich zum Großteil einfach unsichtbar an meinen Gegnern vorbeigehuscht und/oder hab begeistert zugeschaut, wie sich zwei Gegner gegenseitig zu Klump hauten. System Shock 2 bietet also nicht nur die Möglichkeit den Rambo zu spielen, sondern bedient auch schakalhafte Charaktere wie mich.
System Shock 2 macht aber beim Spielen nicht nur Spaß. Wer nicht aufpasst, kann sich nicht nur skillmäßig verzetteln, sondern auch an Ressourcenknappheit leiden. Wer die Patronen verschwendet wird es ebenso bereuen, wie der unbedarfte Zauberlehrling, der nicht auf seine Psyreserven achtet. Der Spieler muss sich hin und wieder fragen, ob der geplante Einsatz einer Fähigkeit oder einer Patrone gerechtfertigt ist. Es gibt nichts frustrierenderes als an einem Geschützturm, oder einer Roboterpatroullie vorbei zu müssen und keine panzerbrechende Munition mehr im Inventar zu haben. Mal ausgeblendet, dass es eine Psykraft gibt, die hier Abhilfe schafft. Es könnte ja auch sein, dass man die gar nicht erworben hat. Hat man seine Reparationsfähigkeiten vernachlässigt kann es passieren, dass man irgendwann vor dem Problem steht, eine abgenutzte und damit unbrauchbare Waffe zu haben, sie aber nicht wieder in Ordnung bringen kann. Auch unschön. Ihr habt eure Psykräfte verschleudert und kein Geld mehr für Nachschub? Blöd.
Eben weil hin und wieder auch eine gewisse in heutigen Spielen kaum noch bekannte Ressourcenknappheit herrscht, weist System Shock 2 oft das auf, was Jörg als situative Spannung beschreibt und eben die macht System Shock 2 in spielerischer Sicht mitunter auch so großartig. System Shock 2 überlässt vieles dem Spieler und das lassen heutige Großproduktionen oft vermissen.

Außerdem ist System Shock 2 ein Paradebeispiel für all jene, die erkennen, dass freies Speichern keine generelle Vereinfachung von Videospielen ist. Trotz dieser technischen Möglichkeit kann System Shock 2 sehr haarig werden. Moderne Spiele nehmen dem Spieler allerdings häufig die Aufgabe, der aktiven Ressourcen- und Gesundheitsverwaltung ab (Autoheal) und entbinden den Entwickler damit der Pflicht, sein Spiel anständig auszubalancieren. Wenn alles im Überfluss vorhanden ist, weil in jeder Ecke wieder ein Füllhorn ausgeschüttet wird ist ein Spiel, das freies Speichern bietet natürlich einfach. Wenn wir dem Spieler jetzt diese Möglichkeit nehmen, ihn dafür alle Kilometer einen Checkpunkt setzen sieht die Sache wieder anders aus. Das ist aber nicht schwierig, sondern frustbehaftet. Eine knackige Stelle bleibt schwierig. Den Spieler aber immer wieder die leichten Stellen überwinden zu lassen, lässt höchstens den Frust wachsen, aber nicht die Schwierigkeit des Spiels an sich. Es kommt immer darauf an, wie die Levels konzipiert sind, würde ich sagen. Ein Checkpointspiel hemmt auch meiner Meinung nach den kreativen Spielfluss. Freies Speichern lädt zum Experimentieren ein. Checkpoints schaffen die Angst vor der schnöden Routine, weshalb ich mich oft nicht traue, neue Wege einzuschlagen.
System Shock 2 nimmt den Spieler so gut wie niemals unter seine Fittiche. Es gibt keine blinkenden Pfeile und ich erinnere mich auch nicht an Markierungen auf der Karte, wo ich hin soll. Löse die Aufgabe wie du willst, aber löse sie, scheint die Divise zu sein. Shodan jagt mich einmal durch die Von Braun und wieder zurück. Auch ihr Begleitschiff, die Rickenbacker wird besucht. Dabei erschließt sich der Weg immer aus den Emails, die der Spieler vom Auftraggeber erhält und einer kleinen Aufgabenliste. Nur einmal habe ich das Spiel nicht verstanden. Das war aber auch mehrere Stockwerke umfassendes Backtracking, was sich auf einem Schiff vielleicht auch nicht immer vermeiden lässt, mir aber trotzdem missfällt.
System Shock 2 beinhaltet hin und wieder auch Suchaufgaben, bei denen man beispielsweise ein ganzes Stockwerk nach Schlüsselkarten abgrast, um anschließend die zugehörigen Computer finden zu dürfen. Sowas empfinde ich als anstrengend. Diese Aufgaben implizieren zwar, dass man die Von Braun, in all ihrer Vielfältigkeit kennenlernt, doch ist der Rahmen der Veranstaltung in diesem Fall einfach sehr trocken.
Und gerade wenn man glaubt, man kenne die 2 Schiffe nun wie seine Westentasche und sich im schlimmsten Fall ein wenig Langeweile breitmacht, kommt das Level die Masse. Überraschend, interessant und aufschlussreich. Nur um anschließend eine Reinkarnation aus System Shock zu betreten, die bei Veteranen des Originals wahrscheinlich wohlige Erinnerungen weckt. Ich fand dieses Level hingegen „nur“ interessant anzuschauen. Ich kenne das Original nun mal nicht. Und so ein Retromaniac bin ich jetzt nicht, dass ich mir das geben müsste.
Ich muss aber zugeben, dass mich das Spiel da noch etwas überrascht hat, bevor ich –das Insekt- endlich der Maschinenmutter entgegentrat.
Zuletzt geändert von Deuterium am 28.10.2013 23:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Deuterium
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Deuterium »

Was habe ich persönlich jetzt von dieser Reise mitgenommen? Ich denke, dass System Shock 2 mir gezeigt hat, was gameplaytechnisch in Shootern möglich ist (auch wenn die Sprungmechanik banane ist). Es ist ein Spiel, das seinen Spieler an einer recht langen Leine hält und ihm somit auch eine gewisse Intelligenz abverlangt. Und ohne es zu wissen, habe ich das wohl ein bisschen vermisst, in letzter Zeit. Man fühlt sich ernst genommen und nicht veralbert. Es hat meine Sicht auf gewisse Dinge also schon erweitert weshalb ich zu dem Schluss kommen würde, das System Shock 2 seinen Ruf als hervorragendes Spiel zurecht genießt. Ja, es mag das beste Spiel sein, das ich jemals gespielt habe, aber es ist nicht das Spiel, das ich am intensivsten erlebt habe. Als intensiv definiere ich ein Spiel, wenn es sich mich wirklich stundenlang entführt, ohne dass ich auf die Uhr schaue, oder mich gelangweilt fühle. Das war leider nicht immer gegeben, bei anderen Spielen, auch aus dieser Generation (Deus Ex: HR, The Witcher 2), hingegen schon. Es ist eben doch viel passiert in den letzten 14 Jahren und nur die konservativsten Spieler werden mir wiedersprechen, wenn ich behaupte, dass nicht jede Entwicklung ein weiterer Schritt in die Spielehölle war. Ich mag die Erzählstruktur eines Witcher 2 und die gute Charakterzeichnung eines The last of us. Das Spiel hat präsentationstechnisch, auch wegen den technischen Möglichkeiten der Neuzeit viel dazu gelernt und darauf möchte ich auch nicht mehr verzichten. Dass das Gameplay vieler aktueller Spiele so verwässert erscheint, ist meiner Meinung nach eher auf das mittlerweile breitere Publikum zurückzuführen, aber natürlich nichtsdestotrotz ein Problem. Die Videospielindustrie ist erwachsen geworden und der Mainstream ist nun mal nicht für seine Innovationsfreude bekannt, oder dafür seinem Publikum viel abzuverlangen.

Ich bedanke mich nun bei jedem, der bis hierhin durchgehalten hat, obwohl ich nicht Archer bin. Aber er wollte ja wissen, was ich von System Shock 2 denke.
Außerdem hoffe ich, dass nicht allzu viel dummes Zeug drin steht und Ihr alten Herren Eure letzte Mahlzeit in euch behalten konntet.
Einen schönen Abend noch.
Zuletzt geändert von Deuterium am 12.11.2013 00:14, insgesamt 1-mal geändert.
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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Ach, schönen Dank für die Überraschung zur Nacht und die anregende Lektüre!

Ich gehe nun gerührt ins Bettchen. Hach, sie werden so schnell erwachsen. Schnüff.
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Achmedtheanimal
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Achmedtheanimal »

Bissl schmalzig und vor Pathos triefend ^^
Aber wir haben ja fast zeitgleich das Spiel zum ersten Mal gespielt und ähnliches erlebt, ich kann dir in den meisten Punkten nur zustimmen
ABER die Mucke war in den meisten Fällen affengeil, unpassend zwar, aber geil

Grafik und Sound gingen bei mir in Ordnung, die Immersion war verblüffend, irgendwann war es mir egal wie das Spiel aussah, ich war so völlig im Spiel gefangen
Das macht für mich ein gutes Spiel aus, wenn es mich nach 10 Jahren Zocken immer noch an den Eiern packt und bis 3 uhr nachts spielen lässt obwohl ich am nächsten Morgen um 7.00 zur Arbeit muss.

Kudos vor deinem poetischen Geschreibsel, ich könnte es so gekonnt nicht formulieren :anbet:

PS: Ich habe mich komplett stumpf durch die von Brauch geschossen, nicht einmal Psi-Kräfte benutzt
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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Achmedtheanimal hat geschrieben:
PS: Ich habe mich komplett stumpf durch die von Braun geschossen, nicht einmal Psi-Kräfte benutzt
Ich habe Jahre nach meinem ersten Durchgang beim wahrscheinlich vierten Anlauf erst die Kraft für die OSA - Karriere gefunden. War nochmal eine ganz andere ebenfalls großartige Spielerfahrung. Für einen Neueinsteiger würde ich es wahrscheinlich aber nicht empfehlen.

Ich finde ja lustig, wie sich die Geister bei Brosius´90er Jahre Prügel-Techno teilen. Ich muss sagen, dass ich den eigentlich immer als ziemlich passend empfand. Schön treibend.

Dass Deute hier schreibt, er empfinde neben der Achtung für die Ausgereiftheit des Spiels trotzdem eine gewisse emotionale Distanz, die er bei Titeln der Gegenwart weniger spürt, erscheint mir übrigens sehr nachvollziehbar. So ähnlich geht es mir bis heute mit System Shock 1. Obwohl ich ja eigentlich mit Doom-Grafik-Titeln sozialisiert wurde, die emotionale Intensität meines von Braun-Spazierganges stellte sich auf der Citadel-Station nie ein.
Das ist aber auch normal und soll hier gar nicht das Ziel sein. Natürlich ist einem die Gegenwart etwas näher, die eigene Generation quasi. Aber es ist erfreulich, wenn sich ein paar den Blick auf die Qualitäten der Vergangenheit bewahren. Kann dem Genre nur gut tun.

So. Nachdem wir dieses Kapitel nun erfolgreich gemeistert haben, hätte ich da gleich noch ein paar andere Titel, die ihr auch noch, hüstel ...
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Deuterium
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Deuterium »

Achmedtheanimal hat geschrieben:Bissl schmalzig und vor Pathos triefend ^^
Ja, es ist schön blumig geworden. In Versuchsprotokollen will sowas keiner lesen, bei solchen Freizeitprojekten bricht der Schöngeist aber heraus. Das Orm hat es mir so diktiert. Ich bin halt schon der Romantiker, fürchte ich. Ihr solltet mal Liebesbriefe von mir lesen...
Achmedtheanimal hat geschrieben:Das macht für mich ein gutes Spiel aus, wenn es mich ... bis 3 uhr nachts spielen lässt obwohl ich am nächsten Morgen um 7.00 zur Arbeit muss.
Ich denke, dieses Versinken kennt jeder Spieler und es sind diese Nächte, die mir oft in Erinnerung bleiben. Es ist schade, dass das bei System Shock 2 nicht ganz so intensiv war. Eine leichte innere Distanz war schon gegeben. Obwohl es mich auch mal bis halb 2 morgens beschäftigt hat, so ist es ja nicht. Aber wenn ich da an Deus Ex:Human Revolution denke. Da hab ich in den letzten Semesterferien mal um 12 Uhr mittags angefangen und bis 4 Uhr morgens gespielt und hab auch nur aufgehört, weil die Hand Augen Koordination für den Bosskampf nicht mehr gereicht hat. System Shock hat mir das nicht gegeben. Emotionen sind halt schon eine ziemlich merkwürdige Sache.
mr archer hat geschrieben:So. Nachdem wir dieses Kapitel nun erfolgreich gemeistert haben, hätte ich da gleich noch ein paar andere Titel, die ihr auch noch, hüstel ...
Ich denke, Du denkst an Thief, das Original Deus Ex und solche Späße. In der Tat befinden sich die beiden Titel auf dem Schämberg, den ich jetzt mal etwas abarbeiten will. Ich denke, ich muss mir dann doch auch mal irgendwo so einen Egoblog aufmachen.

Edit: Also wenn das Universum Zeichen gibt, dann hatte ich gerade eine Offenbarung. Beim Akte X gucken. Da ist einem alten Mann die Kehle aufgeschnitten und mit dem Blut das Wort "Thief" (Na gut "Theef" geschrieben) an die Wand geschrieben worden. Wenn das nicht zählt weiß ich auch nicht. Puuh. Jetzt ist es aber ganz schön warm unter dem Aluhut geworden.
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Achmedtheanimal »

HA! Da bin ich dir voraus ^^

Thief 1 und Deus Ex damals schon gespielt und geliebt ^^
Thief liegt aber auch noch bereit
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Deuterium »

Ich meine auch, Thief als Rotzlöffel mal angespielt zu haben. Aber immer nur, wenn ich irgendwo zu Besuch war. Aber heute Abend werde ich mal ernsthaft einen Versuch wagen. Durch unsere sowieso allabendlichen Steamchats wirst du von meinem Fortschreiten als Erster erfahren. Der Rest wahrscheinlich höchstens über den Offtopicbereich. Ein Egoschleicher ist nun wirklich zu weit von osteuropäischen Ballerorgien entfernt. Wie gesagt: Ich brauche vielleicht auch einen Egoblog, den eh kein Schwein ließt. :D
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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Deuterium hat geschrieben: Ich brauche vielleicht auch einen Egoblog, den eh kein Schwein ließt. :D
Auf jeden Fall. Kulturelle Distinktion ist heute alles.
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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Liebe Leute, das Fest der Liebe steht vor der Tür und Kinder von Geschwistern und guten Freunden sowie die eigenen Taufpaten wollen auf den falschen Weg gebracht werden. Was ist da besser geeignet, als ein feiner, oldschooliger Blödelshooter?!

Eben. Nix. Also husch, husch, hinüber zu unseren Freunden von gog.com und für schmales Geld im nur noch ein paar Stunden währenden Supersondersale das feine Shadow Warrior - Remake aus der Feder von Flying Wild Hog gekauft.

Dideldum.
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Deuterium »

Außerdem verschenken die Jungs die Tage noch die alten Falloutspiele. Also noch mehr Gründe zum Vorbeischauen.
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Obstdieb
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Obstdieb »

mr archer hat geschrieben: das feine Shadow Warrior - Remake aus der Feder von Flying Wild Hog gekauft.
Stimmt. Hab ich noch garnicht durchgespielt.
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mr archer
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von mr archer »

Obstdieb hat geschrieben:
mr archer hat geschrieben: das feine Shadow Warrior - Remake aus der Feder von Flying Wild Hog gekauft.
Stimmt. Hab ich noch garnicht durchgespielt.
Noch eine halbe Stunde, Kinder! Danach dann wieder im MidPrice-Segment.
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Re: Osteuropa-Shooter aus der zweiten Reihe

Beitrag von Obstdieb »

mr archer hat geschrieben: Noch eine halbe Stunde, Kinder! Danach dann wieder im MidPrice-Segment.
Es lohnt sich aufjedenfall. Ich hoffe aber das es sich jetzt mal richtung Ende begibt, ein bisschen langatmig ist es schon.
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